Meine Lieblingsbuchhandlung ... mit Nikola Hahn
Buchmarkt Hbf Frankfurt am Main, B-Ebene |
Ach, was fällt mir alles Schönes ein, wenn ich das Wort
„Buchhandlung“ höre: Deckenhohe Regale aus Holz erscheinen vor meinem Auge, prall
gefüllt mit Geschichten, die darauf warten, erlesen zu werden, schmale Gänge in
gemütlichen, dusteren Räumen, in denen Staubflusen im Licht tanzen, die das
Gefühl geben, eine geheimnisvolle Welt zu betreten, das mystische Land der
Fantasie, das verborgen zwischen Buchdeckeln ruht. Alte Bücher, neue Bücher,
große, kleine, dicke, dünne, Taschenbücher, Schmuckausgaben: Ein Maximum an
gedruckter Vielfalt auf einem Minimum an Raum, der Geruch nach Papier und
Bindeleim – das sind die Erinnerungen aus meiner Kindheit, die ich mitnahm ins
Erwachsenenleben. Ich träumte sie noch,
als ich längst in hellen, modern eingerichteten Buchhandlungen als
Autorin zu Gast war – wie viele schöne Begegnungen gab es dort, wie viele
inspirierende, interessante Gespräche durfte ich führen!
Und welche von all den vielen ist nun meine
Lieblingsbuchhandlung? Eine schwere, eine ungerechte, eine wunderbare Frage!
Weil sie mich zwingt nachzudenken darüber, was Menschen ausmacht, die Bücher
nicht nur verkaufen, sondern lieben! An den Orten meiner Erinnerung finde ich
sie, ohne Zweifel. Und nach mehr als einhundert Lesungen, die ich im Laufe der
Jahre durchgeführt habe, kann ich sagen, dass es unzählige Bücherorte und viele
Büchermenschen gibt, die ich sehr mag. Aber bevor ich meine Wahl treffe, möchte
ich die Seite wechseln, überlegen, was ich in meiner Erinnerung als nicht so
passend, als nicht so gemütlich, nicht so inspirierend abgespeichert habe. Eine
Bahnhofsbuchhandlung zum Beispiel: Nett, dass es sie gibt, denn man kann, wenn
man auf Reisen ist, schnell mal reinschauen und sich mit Lektüre versorgen. Na
gut, die Auswahl ist großteils auf gängige Ware beschränkt, und man muss schon
wissen, was man will, weil die Leute, die da Bücher verkaufen, ohnehin meist
keine Ahnung von Literatur haben. Die gestapelten Bestseller, die sich am
Eingang finden – ach, nö. Und der Grabbeltisch mit den Billigausgaben? Als
Leserin gehe ich neugierig hin, wühle und hoffe, ein Schnäppchen zu machen; als
Autorin spüre ich Trauer und Schmerz, eins meiner „Buchkinder“ zu entdecken, an
dem ich jahrelang gearbeitet habe, Knick
im Rücken, Remittenden-Stempel, Ramsch. Ein Ort zum Träumen? Eine
Lieblingsbuchhandlung gar? Sicher nicht.
Nein, es war nicht schwer, meine Wahl zu treffen: Es ist der
Buchmarkt Hauptbahnhof Frankfurt am Main! Ich habe eine Lieblingsbuchhandlung, deren
Inhaber ich nicht persönlich kenne, deren Interieur ich bislang nur via
Facebook angeschaut habe, ein Laden, versteckt in der B-Ebene eines lauten
Bahnhofs, in dem es all das nicht gibt, was für mich eine Buchhandlung immer zu
einem Zauberort werden ließ. Es ist eine neue Geschichte, die ich jetzt erzählen
will, erzählen muss, und sie hat mit der Wandlung aller Dinge zu tun, die wir Zukunft
nennen, sie hat zu tun mit den Wegen der Bücherfreunde durchs Netz, mit den
verschlungenen Pfaden, auf denen sich Online- und Offline-Welt immer mehr verzahnen
und verweben.
Auf der Startseite bei Facebook fällt mir ein Eintrag auf: Das
Team einer kleinen Buchhandlung will ein Regal ausschließlich mit Literatur deutscher
Schriftsteller bestücken. Unsere
deutschen Autoren, so lautet die Überschrift, zwei schwarzrotgoldene
Fähnchen werden virtuell dazugeklebt, um die Intention deutlich zu machen: Wir,
so sagt das kleine Team aus dem Souterrain, wir lieben Bücher, alle Bücher – aber wir möchten unseren
deutschen Autoren, von denen wir mit vielen auch in persönlichem Kontakt stehen,
einfach mal Danke sagen, mit einem Büchergruß, der ins Auge fällt – keine
Auswahl bezüglich des Genres wird getroffen, kein Unterschied wird gemacht
zwischen der Bestsellerin und dem Newcomer.
Nikola Hahn, geboren 1963, schreibt, illustriert und verlegt – und das alles in Rödermark (Hessen).
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Wir mögen Euch!, erklärt das kleine Team – und erntet einen
Shitstorm. Deutschtümelei, verkappte Nazis, und was man eben so schreibt, wenn
das Gutmenschenherz mal wieder online überquillt. Erschrocken ist das kleine Bücherteam,
vier Menschen, die sich abwechselnd sieben Tage in der Woche in ihrer
Buchhandlung die Beine in den Bauch stehen und sich trotzdem die Zeit nehmen, auch
online über ihre Bücher, ihre Autoren zu reden, die nicht nur, wie so viele,
irgendeine lieblose Facebook-Seite generiert haben, weil man eben sozial
netzwerken muss heutzutage, sondern die mit jedem Post eine Liebeserklärung ans
Lesen, an Bücher, an „ihre“ Autoren machen, weltoffen, provinziell, kitschig,
gediegen, lustig, ernst, Schmöker, Literatur; der ausgepackte Stapel von
Remittenden hier, der Hinweis auf Werke der Klassik dort, so kunterbunt, so
widersprüchlich, so respektlos-fröhlich wie die Welt eben ist: der Kosmos eines
großen Bahnhofs in Bücherstapeln ausgedrückt.
Entsetzt ist das engagierte Quartett über die Vorwürfe, sie
treffen ins Herz; man versucht zu beschwichtigen, sich zu rechtfertigen. Es sei
doch nur ein einziges Regal im Laden, nur eine gute Absicht, einfach ein kleines
Dankeschön. Zum Glück lässt sich das Team nicht schrecken, na gut, die Fähnchen
lassen sie dann doch weg am (realen) Regal, aber die deutschen Autoren bekommen
ihr exklusives Plätzchen, und auf der Facebookseite gibt`s für jeden eine
Gratiswerbung dazu, eine Auswahl der Bücher, ein Statement des Bücherteams, und
Platz für den Autor zu sagen, warum er schreibt, was er schreibt. Auch hier:
Bunt ist die Autoren-Bücher-Mischung, frei von jedem Dünkel, E neben U – was,
bitte, sind E und U?
Ich mache mit, freue mich, Teil eines so hübschen Potpourris
zu werden, ein netter eMail-Kontakt entwickelt sich. Jeden Abend schlendere ich nun online durch
den Laden, schaue mir die neuen Bilder an, lese, kommentiere, bin neugierig auf
die Autorenkollegen, die vorgestellt werden, und auf ihre Bücher. Neues
entdecke ich, Spannendes, tauche ein in fremde Welten, obwohl ich meine gar
nicht verlasse. Und ich erinnere mich an die Anfänge meiner
Schriftstellerkarriere. An die Buchhandlung, in der ich immer so gern gestöbert
hatte, und die mein Debüt nicht haben wollte. Nicht mal ein einziges Exemplar
in Kommission. Wie gut hätte es der jungen, unerfahrenen Autorin damals getan,
ein bisschen Unterstützung zu bekommen von „ihrem“ Buchhändler vor Ort.
Es gibt ein Dutzend Gründe für das Nein, nachvollziehbare,
für mich heute sogar durchaus einsichtige Gründe. Und doch: Warum tut es dann diese
Buchhandlung im Souterrain des Frankfurter Hauptbahnhofs, vier Bücherleute, die
diese Gründe genausogut benennen könnten, die sich sogar beschimpfen lassen mussten
für ihr Engagement, das ihnen außer ein paar virtuellen Fans und ein bisschen
Öffentlichkeit ökonomisch wohl nichts und ansonsten nur Arbeit einbringt?
In einer Welt, in der sich alles ändert, alles im Fluss, im
Umbruch ist, darf und muss man Erinnerungen bewahren, aber es ist auch an der
Zeit, alte Zöpfe abzuschneiden, sich auf das zu konzentrieren, was wichtig ist:
Menschen zu treffen, die Bücher lieben! Offline wie online. Noch Fragen, warum
ich nicht lange überlegen musste, ausgerechnet eine Bahnhofsbuchhandlung zu
meinem Liebling zu erklären?
Buchmarkt Hbf Frankfurt am Main
Hauptbahnhof, B-Ebene
60329 Frankfurt
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