Fortsetzungsroman: Moody Blue 2


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Er lehnte die Zigarette ab, er rauche nicht mehr, habe es sich erfolgreich abgewöhnt. Respekt, sagte ich, so kenne ich meinen willenlosen Levent gar nicht. Das war Levents Problem seit jeher gewesen: er konnte sich zu nichts aufraffen, Kraftlosigkeit, Schwäche, diese Ausdrücke passten zu ihm, Passivität, Trägheit, Verträumtheit. 
Ich erzählte ihm einst von einer Hauptfigur aus einem griechischen Roman, den ich gelesen hatte, ein junger Mann, der sehr geheimnisvoll war, ständig verschwand, auf unerklärliche Weise wieder zur zweiten Hauptfigur zurückkehrte. Der junge Mann ließ sich durch das Wort „fast“ am besten charakterisieren, schrieb der Erzähler: Er ist fast schön, fast rothaarig, fast ehrlich, fast gut, fast intelligent, fast verwegen, fast in Ordnung... Er flunkerte dauernd, bekam alle Frauen, auch die hübschesten und ungewöhnlichsten und reifsten, ins Bett. Und noch mit einigen anderen Zitaten beschrieb ich ihn meinem lieben Freund Levent, den diese Person faszinierte. Vielleicht weil er gerne so gewesen wäre. Naja, flunkern, Geschichten ausschmücken, das konnte er auch sehr gut. Oft musste ich mir früher mehrere Versionen einer Geschichte anhören, von Mal zu Mal wurden sie extremer, lustiger oder gemeiner, unglaubwürdiger oder angeberischer. Mich nervten diese Anwandlungen vor allem bei Geschichten, die ich miterlebt hatte und die er dann andern gegenüber so albern ausschmückte, dass ich das Erlebnis fast nicht mehr wiedererkannte. 
Vielleicht hört sich meine Beschreibung von ihm sehr negativ an. Das ist unbeabsichtigt. Meine Hand schreibt von selbst, ich habe kaum Einfluss auf sie, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Schon einige Male verfasste ich Texte über die Beziehung, die Levent und ich führen. Sie lässt sich nicht wirklich in Worte fassen, aber das versteht sich von selbst. Nicht nur, dass sie sich in einem stetigen Wandel befindet, nicht nur, dass ich mich auf meine Sichtweise beschränken muss, nie weiß man, was die anderen denken, nein, das wirkliche Problem ist, dass sich Gefühle, Gedanken, unbewusste Denkvorgänge, Inter-aktionen im zwischenmenschlichen Bereich nicht in wahren Worten ausdrücken. Ein Schriftsteller, ein jeglicher Mensch sogar, lügt immer, flunkert. Jeder Mensch versucht wenigstens möglichst nahe an der Wahrheit zu bleiben, sagt „seine Wahrheit“. Wenn man hinterher darüber nachdenkt, was man sagt, dann fällt einem auf, wie nah man an der Wahrheit war; wenn man weit davon entfernt geblieben ist, überlegt man sich die Motive – um besser anzukommen? Sich hervorzuheben? Um die anderen auf die Probe zu stellen? 
Er ist sehr liebenswert. Das Rauchen hatte er sich abgewöhnt, das musste man beklatschen. Ich hingegen nahm eine Kippe aus dem Päckchen, zündete sie mit meinem knall-blauen Feuerzeug an. Früher hatte ich Probleme damit, sie anzukriegen. „Mama kommt“ - einziehen. Ich habe dich noch nie alleine rauchen sehen, sagte Levent. Und ich habe dich noch nie etwas machen sehen, das man immer alleine macht, erwiderte ich süffisant. Er lachte. Willst du? fragte er. Machst du? fragte ich mit einem leichten Kribbeln im Bauch. Wir könnten Sex machen! überraschte er mich. Okay! entgegnete ich pseudo-entschlossen. Sag das nicht leichtfertig, meinte er, vielleicht lass ich mich darauf ein. Würdest du? wollte ich wissen. Probier es aus! Unsicher und irritiert versuchte ich nun meine Gedanken zu ordnen. Was sollte das alles? Wollte er mich testen? Mich provozieren? Wollte er jetzt, da er von seiner Freundin erzählte, die er noch liebte und schätzte, wirklich Sex mit mir haben? Ich schaute ihn mir genau an. Doch abgesehen davon, dass das ein Scherz von ihm sein musste, hätte ich überhaupt Lust auf ihn, auf seinen behaarten, unmuskulösen Körper? Erregte er mich? Fand ich ihn so geil, dass ich meinen Freund, meine große Liebe, betrügen könnte? Mich überkam ein sehr mulmiges Gefühl. Mehrere Teile meines Gehirns arbeiteten gleichzeitig. Ein Teil beschäftigte sich mit dem Ausmalen von erotischen Szenen mit Levent, wie ich ihn küsste, wie ich ihn liebkoste, wie ich ihn verführte, wie ich ihm einen blies... 
Im Grunde genommen erregte mich ja die Vorstellung, mit meinem besten Freund zu schlafen, noch dazu in der freien Natur, andererseits erregte er mich nicht. Vor einigen Jahren hätte ich diese zweifelhaften Bemerkungen versucht auszunutzen, jetzt beeilte ich mich, irgendwelche Gründe zu finden, mich nicht darauf einzulassen. Wäre es nicht schön gewesen draußen Sex zu haben, in einem wilden Rausch, ohne an die Zukunft, an ein nagendes Gewissen danach zu denken, befriedigt zu werden? Mit einem Lächeln auf den Lippen, zufrieden und mit ruhiger Seele und ruhigem Körper den Spaziergang und die Unterhal-tung fortzusetzen? 

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