Das Fräulein von Scuderi von E.T.A. Hoffmann / Drushba Pankow (Ill.)


Die Zeiten ändern sich, was die Lesegewohnheiten der Menschen betrifft: Experten sagen voraus, dass das Taschenbuch vielleicht bald ausgedient hat. Es wird sich wohl eher langfristig aufspalten in diejenigen, die auf ihrem E-Reader/ Tablet Ebooks lesen und denjenigen, die auf das Papier rascheln nicht verzichten mögen, die man allerdings dann nur mit schön gemachten, gebundenen Büchern begeistern kann. So die Prognose.
Die Zeiten ändern sich nicht, was den Inhalt, den berühmt berüchtigten Content, angeht. Viele Leser möchten Bücher haben, die spannend sind, die ihnen neue Welten eröffnen, sie mitfiebern und vor allem miträtseln lassen. Diese Menschen mögen den Thrill, die überraschenden Wendungen und ein befriedigendes Happy-End. In diesem Sinne: Kriminalliteratur ist seit Jahrzehnten beliebt – sowohl bei Lesern der U- wie der E-Literatur. 
Das Fräulein von Scuderi von E.T.A. Hoffmann, 1819/21 geschrieben, gilt als Ur-Krimi der Weltliteratur. Das 73-jährige Fräulein Scuderi ist Hofdichterin König Ludwigs XIV., als Paris von einer rätselhaften Mordserie an jungen Männern erschüttert wird. Durch Zufall (oder doch Schicksal?) gerät das Fräulein in den Strudel dieser Verbrechen und findet sich bald in der Rolle der Ermittlerin wieder, die nicht mehr weiß, wem sie noch glauben kann. 
Alexandra Kardinar und Volker Schlecht gaben der Novelle ein neues, zeitgemäßes Kleid: Im September 2011 erschien die Graphic Novel, die die mysteriösen Morde im Paris des 17.Jahrhunderts nacherzählt, in der Edition Büchergilde, die berühmt für ihre wunderschönen Bücher ist, insbesondere der illustrierten Werke solcher Klassiker wie „Das Bild des Dorian Gray“ von Oscar Wilde oder „Der Mann mit der Ledertasche“ von Charles Bukowski (von Helge Leiberg illustriert).



Druschba Pankow, wie sich Kardinar / Schlecht und ihre Arbeitsgemeinschaft für grafische Gestaltung und Illustration nennen, arbeiten seit über 15 Jahren als Grafikdesigner, Zeichner und Illustratoren. Diese große Bandbreite merkt man ihnen bei der Neugestaltung der „Scuderi“ an. Die Illustratoren haben mit dynamischer Bildgestaltung, mit Papp-Puppen, deren Glieder bewegt, collagiert und umzeichnet werden und mit Piktogrammen gearbeitet. Sie haben einerseits ganz authentisch Kleidung und Stil der damaligen Zeit verwendet, und doch kleine Bonmots, Witze oder Bildchen aus der heutigen Zeit hinein flechten können, die dem Leser Spaß machen, zum Beispiel als das Fräulein Scuderi sich einen Wagen holen lassen möchte und in der Sprechblase „Harry“ steht. 




Wieso diesen Klassiker als graphic novel? Die beiden Illustratoren haben Kunst geschaffen, es macht Spaß, sich die Bilder anzuschauen, die Zusatzinformationen, die sie eingebaut haben, zu lesen, etwas Neues zu lernen, tiefere Einblicke in die damalige Zeit zu bekommen. Dies ist Buchkunst und etwas für Buchliebhaber, aber auch für wirkliche Krimi-Fans, die gerne rätseln, die sich gerne Kriminal-Filme anschauen und nun einen neuen Reiz brauchen. Alles war schon einmal da, das beweist gerade der Ur-Krimi aus dem Jahr 1819, und doch: Wer die Original-Erzählung nicht kennt (die zum Glück nach der graphic novel ihren Platz in diesem Werk findet), muss sehr aufmerksam sein, um der Geschichte mit den vielen Wendungen zu folgen. 
Es ist bemerkenswert, was E.T.A. Hoffmann bereits im 19.Jahrhundert erschaffen hat: Faszinierende Charaktere, sowohl vom soziologischen als auch vor allem vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet. Lohnenswert sich diese Novelle im neuen Gewand näher anzuschauen. Die Zeiten ändern sich: Wenn sie uns solch schönen Bücher bringen, kann man das nur begrüßen...


E.T.A. Hoffmann / Drushba Pankow (Ill.) Das Fräulein von Scuderi
Erstmals als Graphic Novel umgesetzt und mit einem Nachwort von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht, mit Originaltext in einem Band, gebunden mit Schutzumschlag, 160 Seiten, Edition Büchergilde, € 24,99 / SFR 32,90
ISBN 978-3-94011183-8

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