Warum ich schreibe - Guido Rohm
Notizen zum Thema
Als ich
klein war, lebte wir in bitterer Armut. Ich fragte mich oft, warum es keine
süße war. Süße Armut hätte uns wenigstens geschmeckt. Wir wären ihr vermutlich
treu geblieben, denn wer will schon süße Armut hängenlassen, vor allem, wenn er
ein Junge ist. Aber sie war nun einmal bitter. Und so verzogen wir, meine zehn
Brüder und ich, oft das Gesicht, wenn uns Mama zwang, in die Armut zu beißen.
Das wäre immer noch besser, als ins Gras zu beißen, sagte sie. Ins Gras bissen
eine Menge Leute. Wir sahen sie, wenn uns Mama in den Kindergarten brachte, in
dem ich aufwuchs. (Kindergärten, die sind ein ganz eigenes Thema. Dieses
ständige Gießen und Düngen, man wird umgetopft, steht in der Sonne, im
Schatten, und das einzig, damit man wächst, wächst, wächst, als gäbe es sonst
kein anderes Ziel im Leben.)
Ich
erzähle das, damit sie einen Einblick in mein Leben bekommen, in die Art und
Weise, in der ich erzogen wurde. All diese Dinge spielen eine Rolle, wenn man
verstehen will, warum ich schreibe.
Wenn ich
etwas angestellt hatte, etwa meinen kleinen Bruder Robert an eine Schlange,
bekam ich einen Rüffel. Meine Mutter sagte: "Schreib dir das hinter die
Ohren!"
Ich
gehorchte und versuchte, mein bisheriges Leben hinter mein rechtes Ohr zu
schreiben. Mann, war das eine Plagerei. Ich brach mir beinahe den Arm bei dem
Versuch. Später bat ich meine Klassenkameradin Fiona, meine Geschichte hinter
mein Ohr zu schreiben. Meine erste Kurzgeschichte entstand.
Es dauerte
lange, bis ich vom Ohr auf Papier umstieg. Im Grunde hatte ich es nie gewollt.
Ich dachte, nein, lass sie doch alle auf Papier schreiben, ich bin und bleibe
ein Ohrenautor.
Meine
ersten Einsendungen scheiterten an meiner Angst, mir mein eigenes Ohr
abzuschneiden. Fiona hielt mich für einen Schwächling. Sie erinnerte an all die
großen Ohrenschriftsteller wie B.L. Jennings und K.L. Sanktpeter.
Später,
als ich längst Erfolg hatte, lag ich eines Tages auf der Couch eines berühmten
Psychiaters, der mich fragte: "Guido, warum schreiben Sie?"
"Ich
schreibe, weil ich damit davon ablenke, nichts zu können. Sehen Sie, ich habe
erst heute versucht, aufzustehen. Es misslang, und dabei habe ich es wirklich
gewollt. Wie soll sich ein Mensch fühlen, der nicht einmal in der Lage ist,
aufzustehen?"
Schweigen,
ein so eisiges Schweigen, dass ich mich nach einem Schal und einem Pelzmantel
sehnte, ein Schweigen, so eisig, dass Schnee von der Decke fiel.
"Es
schneit", sagte ich.
"Das
tut mir leid", sagte der Psychiater, "das liegt an der eisigen Stimmung.
Vielleicht ist es besser, wenn Sie jetzt gehen."
"Wenn
ich das hinbekommen würde", sagte ich und rief nach meiner Frau und meinen
Kindern, die mich nach unten in die Autorenkutsche trugen, wo ich saß und
alles, was ich gerade erlebt hatte, niederschrieb.
Mehr zu Guido Rohm:
http://faustkultur.de/107-0-Guido-Rohm.html#.U1ky1eZ_vUY
http://faustkultur.de/398-0-EINE-HANDVOLL-WRTER-von-Guido-Rohm.html#.U1kzdeZ_vUY
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