schmerzwach schreibt: Poesie einer Ausstellung - Text EINS
Ingrid Hornef |
Unüberwindbare Abstände
I
Das Beleidigendste daran war vielleicht, dass dieser abgelutschte, täglich millionenfach gesagte Satz zwischen uns fiel.
Ich brauche Abstand von dir. Ich brauche Abstand von uns.
Vergessen, verdrängt, welcher Satz genau es war, unwichtig, klischeehaft, Floskeln, die gesagt werden müssen. Etwas wie „Gute Besserung!“ zu wünschen, wenn jemand etwas vom Krank sein erzählt, „Mein Herzliches Beileid“, wenn jemand aus dem Umfeld der anderen Person stirbt, solche Dinge. Es wird gesagt, ohne darüber nachzudenken, ohne etwas zu fühlen.
Ich brauche Abstand von dir.
Ich halte diese Enge nicht mehr aus. Das kam von dir. Wie war es denn früher zwischen uns? Das fragte ich dich, ohne eine Antwort zu erhalten.
II
Unsere Unterhaltungen waren immer schwarz weiß. Oder weiß schwarz. Und ich war weiß. Ich bin weiß. Sagst du. Nicht grau. Keine Schattierung von Grau. Weiß. Du sagst: Du bist so selbstlos, Du bist wie Jesus. Ich denke eher, dass ich ein normaler Mensch bin. Ehrlich, authentisch, liebevoll, warm. Du stellst mich auf ein Podest, sagst du mir. Viele Menschen mögen das nicht. Auf ein Podest gestellt werden. Was heißt das überhaupt? Das frage ich dich, auch dies ohne Antwort.
III
Liebe hat nichts mit Zufall zu tun. Ich würfele nicht – Gott würfelt nicht. Wie bringe ich Gott hinein? Bin ich doch Jesus? Merkwürdig, dass ich darüber nachdenke. War es denn Schicksal, dass wir uns kennen gelernt haben? Du sagst, dass es kein Schicksal gibt. Und ich sage, dass es kein Zufall sein kann.
IV
Jeder hat sein abgestecktes Feld, in dem er sich bewegt. Setzt seine Grenzen. Am Anfang hatten wir wahrscheinlich viel zu wenige Grenzen. Jeden Tag ein Date. Nach dem dritten Date schon Sex. Am ersten Wochenende ein romantischer Ausflug. Nach drei Wochen der erste gemeinsame Urlaub. Nach drei Monaten zusammengezogen.
Eine kleine Wohnung, keine Freiräume. Sagst du plötzlich. Es gab genügend Freiräume, sage ich. Du möchtest eine Weile bei deiner besten Freundin wohnen, sie hat ein Gästezimmer. Möchtest eine Auszeit, möchtest sehen was passiert.
Abstand ist das Wort.
Ich hatte immer das Gefühl, dass wir wenig Grenzen brauchen, weil wir uns so einig sind. Uns lieben. Sollte ich mich so getäuscht haben?
Bridging the gap.
Hatte ich nicht alles dafür getan, niemals einen großen Abstand entstehen zu lassen? War das alles falsch?
zur Ausstellung: http://www.eulengasse.de/
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