Fortsetzungsroman: Moody Blue 13
http://schmerzwach.blogspot.de/2012/10/
fortsetzungsroman-moody-blue-12.html
Er fragte mich, warum ich ihm immer griechische Lieder vorsinge, und ich sagte: Tobias, eins musst du wissen, der Apostolis bleibt Grieche; ich ahmte dabei Harald Schmidt nach, dessen Running Gag das einst gewesen war, in Anlehnung an Vasily Sarikakis aus der Lindenstraße. Harald Schmidt imitierte Helena, die griechische Mutter von Vasily, und ich, der Grieche, ihn – Was hörte sich am ehesten nach griechischem Deutsch an? Ich erzählte Tobias davon, wie ich sechs Jahre die griechische Volksschule besucht hatte, dreimal in der Woche nachmittags, wenn meine Schulkameraden frei hatten, was mich sehr wurmte. Diese Tortur nahm ich als Zwang an, und alles, was einem aufgezwungen wird, vor allem von seinen Eltern, beginnt man zu hassen. So hasste ich die Schule und noch schlimmer die griechische Sprache. War ich mit sechs Jahren noch zu dreiviertel griechischsprechend, änderte sich das mit Eintritt in die deutsche Grundschule ins Fifty-fifty und bald darauf schwappte die Schale drastisch zum Deutschen hin. Ich fing an Deutsch zu antworten, wenn ich mit meinen Eltern sprach, mit meinen Geschwistern redete ich sowieso nur Deutsch, griechische Freunde hatte ich keine, ich mochte sie alle nicht, diese dummen Kinder von Kneipenmenschen. Die lebten noch im Griechenland der sechziger Jahre, ich weiß nicht, was sie sich dabei dachten. Ich erzählte Tobias, wie meine griechische Sprache verkümmerte, wie sehr ich mich in dieses Deutschland integrierte, wie unwohl ich mich in Griechenland fühlte, wenn ich nicht am Meer war, um zu baden. Man konnte mich kaum einen Griechen nennen zu dieser Zeit. Irgendwann stöberte ich in alten Kassetten meines Vaters. Ein Lied mit viel Klarinette faszinierte mich, ich hörte mir das gesamte Band an, ich liebte es. Es sprach etwas in meinem tiefsten Inneren an. So fing meine Leidenschaft für die Dimotika, diese Art von griechischen Volksliedern (mit Klarinetten und Violinen) an. Es artete darin aus, dass ich alle ähnlichen Musikstile aus dem Balkan und dem Orient und aus Israel den Klezmer begann zu lieben.
In meinem Kopf entstand bald eine Mischung der Kulturen, ich konnte mich nicht als Deutscher bezeichnen, auch nicht als Grieche, am ehesten als deutscher Grieche oder griechischer Deutsche, aber nicht einmal das, da für mich alles das gleiche war: egal, ob Kroate, Türke, Serbe, Armene, Bulgare oder Grieche, wen interessierten solche Bezeichnungen. Ich war ich. Und ich mochte griechische Musik, genauso wie türkische und Klezmer und Khaled und vieles andere. Mir gefielen Sprachen. Mir gefielen Südländer. Mir gefiel das Meer. Wenn mich jemand fragte, sagte ich, ich sei Grieche, weil das im Pass steht, ich sage auch, ich bin genausogut Deutscher, da ich hier geboren wurde und Deutsch besser beherrsche als meine „Heimatsprache“. Aber – wie gesagt – ich bin ich. Tobias hörte mir aufmerksam zu. Redete ich Mist? Keine Ahnung. Manchmal kommt es mir sowieso vor, als widerspräche man sich tagtäglich, als änderten sich ständig Wahrheiten. Oft passiert es mir, dass ich etwas ausspreche, woran ich vorher fest glaubte, und auf einmal weiß ich, dass das großer Müll ist.
Wie sieht es mit Rassismus aus? fragte er mich. Mh, machte ich. Keine Ahnung. Oft wird mir gesagt: Oh, Sie sprechen aber gut Deutsch. Ich entgegne ihnen: Ja, danke, Sie auch. An Ihrer Sprache erkennt man nicht, dass Sie nicht von hier sind. Danke. Ist es nicht so, dass es manche Deutsche sind, die es einem Ausländer schwer machen sich zu integrieren? Und nicht (etwa) umgekehrt? Levent hat viel mehr Schwierigkeiten mit Rassismus, trotz deutschem Pass, er sieht zu fremdartig aus, sagte ich, kannst ihn ja mal fragen. Erzähl du es mir, meinte er. Nein, ich möchte jetzt gehen, Tobi. Willst du noch zu mir? fragte er.
Ein anderes Mal, sagte ich, ich möchte heim, kannst mich ja anrufen – 0178/7777888 – die Nummer ist leicht zu merken. Ich hatte den Impuls schnell zu verschwinden, ich wusste allerdings nicht, wieso. Es lag nicht an Tobias, ich weiß nicht, was es war. Ich stand auf, gab ihm Wangenküsschen, sagte, wir sehen uns, und zahlte an der Theke mein Bitter-Lemon. Ich winkte ihm noch einmal zum Abschied, er fragte, ob er mich nicht ein Stückchen begleiten könne, und ich verneinte. Er musste diesen Abgang sehr eigenartig gefunden haben, aber ich hatte einfach keine Lust mehr zu reden oder zuzuhören, ich wollte an die frische Luft, ich wollte spazieren gehen. Nachdem ich einige Umwege gegangen war, weil ich am Altrhein vorbeigehen wollte, kam ich um kurz nach sieben bei mir zu Hause an. Levent lag nicht mehr in meinem Bett, Alejandro hatte seine Stelle eingenommen, ich legte mich behutsam neben ihn.
fortsetzungsroman-moody-blue-12.html
Er fragte mich, warum ich ihm immer griechische Lieder vorsinge, und ich sagte: Tobias, eins musst du wissen, der Apostolis bleibt Grieche; ich ahmte dabei Harald Schmidt nach, dessen Running Gag das einst gewesen war, in Anlehnung an Vasily Sarikakis aus der Lindenstraße. Harald Schmidt imitierte Helena, die griechische Mutter von Vasily, und ich, der Grieche, ihn – Was hörte sich am ehesten nach griechischem Deutsch an? Ich erzählte Tobias davon, wie ich sechs Jahre die griechische Volksschule besucht hatte, dreimal in der Woche nachmittags, wenn meine Schulkameraden frei hatten, was mich sehr wurmte. Diese Tortur nahm ich als Zwang an, und alles, was einem aufgezwungen wird, vor allem von seinen Eltern, beginnt man zu hassen. So hasste ich die Schule und noch schlimmer die griechische Sprache. War ich mit sechs Jahren noch zu dreiviertel griechischsprechend, änderte sich das mit Eintritt in die deutsche Grundschule ins Fifty-fifty und bald darauf schwappte die Schale drastisch zum Deutschen hin. Ich fing an Deutsch zu antworten, wenn ich mit meinen Eltern sprach, mit meinen Geschwistern redete ich sowieso nur Deutsch, griechische Freunde hatte ich keine, ich mochte sie alle nicht, diese dummen Kinder von Kneipenmenschen. Die lebten noch im Griechenland der sechziger Jahre, ich weiß nicht, was sie sich dabei dachten. Ich erzählte Tobias, wie meine griechische Sprache verkümmerte, wie sehr ich mich in dieses Deutschland integrierte, wie unwohl ich mich in Griechenland fühlte, wenn ich nicht am Meer war, um zu baden. Man konnte mich kaum einen Griechen nennen zu dieser Zeit. Irgendwann stöberte ich in alten Kassetten meines Vaters. Ein Lied mit viel Klarinette faszinierte mich, ich hörte mir das gesamte Band an, ich liebte es. Es sprach etwas in meinem tiefsten Inneren an. So fing meine Leidenschaft für die Dimotika, diese Art von griechischen Volksliedern (mit Klarinetten und Violinen) an. Es artete darin aus, dass ich alle ähnlichen Musikstile aus dem Balkan und dem Orient und aus Israel den Klezmer begann zu lieben.
In meinem Kopf entstand bald eine Mischung der Kulturen, ich konnte mich nicht als Deutscher bezeichnen, auch nicht als Grieche, am ehesten als deutscher Grieche oder griechischer Deutsche, aber nicht einmal das, da für mich alles das gleiche war: egal, ob Kroate, Türke, Serbe, Armene, Bulgare oder Grieche, wen interessierten solche Bezeichnungen. Ich war ich. Und ich mochte griechische Musik, genauso wie türkische und Klezmer und Khaled und vieles andere. Mir gefielen Sprachen. Mir gefielen Südländer. Mir gefiel das Meer. Wenn mich jemand fragte, sagte ich, ich sei Grieche, weil das im Pass steht, ich sage auch, ich bin genausogut Deutscher, da ich hier geboren wurde und Deutsch besser beherrsche als meine „Heimatsprache“. Aber – wie gesagt – ich bin ich. Tobias hörte mir aufmerksam zu. Redete ich Mist? Keine Ahnung. Manchmal kommt es mir sowieso vor, als widerspräche man sich tagtäglich, als änderten sich ständig Wahrheiten. Oft passiert es mir, dass ich etwas ausspreche, woran ich vorher fest glaubte, und auf einmal weiß ich, dass das großer Müll ist.
Wie sieht es mit Rassismus aus? fragte er mich. Mh, machte ich. Keine Ahnung. Oft wird mir gesagt: Oh, Sie sprechen aber gut Deutsch. Ich entgegne ihnen: Ja, danke, Sie auch. An Ihrer Sprache erkennt man nicht, dass Sie nicht von hier sind. Danke. Ist es nicht so, dass es manche Deutsche sind, die es einem Ausländer schwer machen sich zu integrieren? Und nicht (etwa) umgekehrt? Levent hat viel mehr Schwierigkeiten mit Rassismus, trotz deutschem Pass, er sieht zu fremdartig aus, sagte ich, kannst ihn ja mal fragen. Erzähl du es mir, meinte er. Nein, ich möchte jetzt gehen, Tobi. Willst du noch zu mir? fragte er.
Ein anderes Mal, sagte ich, ich möchte heim, kannst mich ja anrufen – 0178/7777888 – die Nummer ist leicht zu merken. Ich hatte den Impuls schnell zu verschwinden, ich wusste allerdings nicht, wieso. Es lag nicht an Tobias, ich weiß nicht, was es war. Ich stand auf, gab ihm Wangenküsschen, sagte, wir sehen uns, und zahlte an der Theke mein Bitter-Lemon. Ich winkte ihm noch einmal zum Abschied, er fragte, ob er mich nicht ein Stückchen begleiten könne, und ich verneinte. Er musste diesen Abgang sehr eigenartig gefunden haben, aber ich hatte einfach keine Lust mehr zu reden oder zuzuhören, ich wollte an die frische Luft, ich wollte spazieren gehen. Nachdem ich einige Umwege gegangen war, weil ich am Altrhein vorbeigehen wollte, kam ich um kurz nach sieben bei mir zu Hause an. Levent lag nicht mehr in meinem Bett, Alejandro hatte seine Stelle eingenommen, ich legte mich behutsam neben ihn.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen