Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray (Fortsetzung)

Lord Henry hat einen großen Einfluss auf Dorian Gray, er versucht ihn zu formen, wie andere ein Kunstwerk erschaffen. Auch Menschen können echte und formvollendete Kunstwerke sein... Doch merkwürdig, dass Dorian Gray es schafft, sich trotzdem in die junge, bildhübsche Theaterschauspielerin zu verlieben. Er steigert sich in seiner ungestümen Wildheit in diese Geschichte herein, wobei immer mehr die Frage aufkommt, ob er sich nicht doch eher in eine Fiktion verliebt als in den wirklichen Menschen. Er verliebt sich in eine Idee. Er findet Sybil Vane genial, will sie zu einer berühmten Schauspielerin formen. Doch als sie sich in ihn verliebt, erscheint ihr plötzlich das Schauspiel als unauthentisch, es ist nun nutzloser Tand für sie. Nun ist sie verliebt und braucht die Schauspielerei nicht mehr, sie kann sich nicht mehr hineinstürzen. Sie möchte es nicht mehr. Ausgerechnet an diesem Abend schauen Lord Henry und Basil bei der Vorstellung zu. Sie sind enttäuscht von ihr, aber Dorian noch viel mehr. Seine Liebe stirbt in diesen Momenten, sie zerstört seine Illusionen. Er ist nach der Vorstellung grausam zu ihr... Sie bringt sich um. Auch für sie war er eine Muse, am Anfang, genauso wie Basil, aber dann... begann sie ihn zu lieben. Kunst als Substitut für die Liebe und umgekehrt. Basil übrigens möchte Dorian wieder als Model haben, doch der weigert sich. Denn... etwas Seltsames geht mit seinem Bildnis vor sich, es verändert sich, hat plötzlich einen grausamen Zug um den Mund herum, er lässt Basil dieses Bild nicht mehr anschauen, verbannt es in ein Zimmer, für das nur er einen Schlüssel hat. Aber das ist nicht das Einzige, worüber sich Basil wunderte. Auch über die Grausamkeit Dorians in Bezug auf Sybil Vane - dass er nicht zur Beerdigung geht, der Mutter nicht kondoliert, und anstatt dessen mit Lord Henry in die Oper geht. Lord Henry beeinflusst ihn weiter, am Ende des Kapitels 10 schenkt er ihm ein kleines Büchlein. In Kapitel 11 wird es dann klarer, es ist Joris-Karl Huysmans Buch: Gegen den Strich. Das Buch vergiftet Dorian. Der Nutzer Samarkand aus Hamburg schreibt über das Buch: Wurde jemals ein Buch geschrieben, das düsterer, üppiger, faszinierender und beängstigender ist...? Dessen Atmosphäre so dicht, so schön und so beklemmend ist, und das die Sogkraft eines "Schwarzen Loches" entwickelt, während man es liest?... Huysmans' Geschichte ist berauschend und widerlich, die Sinneseindrücke werden einem nur so um die Ohren geschlagen. Dabei lauert hinter jedem Satz, hinter aller Schönheit und Üppigkeit die Askese und Schlichtheit des Todes... Dorian liest das Buch viele, viele Male, kauft sich viele verschiedene Ausgaben, lebt nach diesem Büchlein. Er sagt (und schließt sich damit Lord Henry an), "ein neuer Hedonismus entstehen, der das Leben neu gestalten und es vor jenem gestrengen, unersprießlichen Puritanismus retten sollte, der in unseren Tagen eine so sonderbare Wiedergeburt erlebt. Gewiß mußte er auch den Dienst am Geist umfassen; doch durfte er niemals eine Theorie oder Lehre billigen, die den Verzicht auf wie auch immer geartete leidenschaftliche Erfahrung forderte. Ja, sein Ziel sollte die Erfahrung selber sein, nicht die Früchte der Erfahrung, so süß oder bitter sie sein mochten..." 
Erstens war ich übrigens stolz auf mich, dass ich erkannt habe (ohne hinten nachzuschauen), dass es sich um Huysmans Buch handelte, das ich vor längerer Zeit gelesen habe, zweitens bekam ich Lust, auch dieses Buch ein zweites Mal zu lesen, das als der wichtigste symbolistische Roman gilt, und mit dem er intuitiv eine ganze Reihe späterer Erkenntnisse der Psychologie vorweg nahm. Spannend! 

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