Fortsetzungsroman: Moody Blue 3

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In meinen Gedanken hatte ich früher meine Liebe zu Levent zerstückelt, jegliche Begierden zerstört bis nichts mehr übrig davon war, bis eine Zeit lang überhaupt nichts war. Später begann ich ihn wie einen Lieblingsbruder zu lieben. Einen kleinen Bruder, auf den man gut aufpassen, um den man sich sorgen muss. Konnte man mit einem kleinen Bruder Sex haben? Und onanieren? Auch das fand ich in diesem Mo-ment merkwürdig. Vor kurzer Zeit hätte ich mich dem allen hingegeben. Früher malte ich mir solche Situationen aus, in meinen Geschichten hatten heterosexuelle männliche Schönheiten plötzlich wilden, ekstatischen Sex mit ihren schwulen Verehrern. Naja, früher hatte ich alles anders gesehen. Früher träumte ich viel mehr. Solche Träume hat man eben, wenn man unbefriedigt vor sich hin vegetiert. Haben dann aber dementsprechend auch Autor/innen von erotischer Literatur ein besonders unbefriedigendes Sexleben? Gibt es Untersuchungen darüber? Ich finde, das wäre interessant zu wissen. Wenn ich alleine spazieren gegangen wäre, hätte ich vielleicht auch hinter einem Baum onaniert. Warum nicht jetzt mit Levent? Mir kam alles so merkwürdig vor. 
Er war damals in der Schule ein sehr hübscher Junge gewesen, ein junger Gott sozusagen. Wie er da mit seinen schwarzen Klamotten, seinen vollen schwarzen Haaren, die nun ausfallen, weswegen er sie sich millimeterlang rasiert, mit seinen warmen, braunen Augen, die so oft ihre Farbe ins Grünliche änderten, mit seinem behäbigen Gang in der Schule herumstolzierte, machte er mich ganz heiß. In diesem Moment schaute er mich mit einem Blick an, der alles besagen konnte, vielleicht sogar: Fick mich, damit ich von meinen Sorgen abgelenkt werde! Vielleicht auch nicht. Ich wollte nichts geschehen lassen; be-vor wir von mir zu Hause losgegangen waren, hatten wir eine Flasche schmelzigen Riesling getrunken. Da er nicht viel vertrug, bestand die Möglichkeit, dass er angetrunkener war, als ich vermutet hatte. Das stellte einen Aspekt dar, der mich endgültig daran hinderte, mich ihm endlich zu nähern. Als Ausnutzer einer solchen Situation wollte ich nicht dastehen. 
Ich fragte ihn, ob er jemals seine Freundin betrogen habe. Er sagte nein. Warum nicht? fragte ich. Ich  fand das nicht korrekt, sagte er. Aber wieso? fragte ich. Ich weiß es jetzt nicht mehr, antwortete er. Was besagt das, wenn ich meiner Freundin immer treu bleibe? Liebe ich sie nicht, wenn ich mich in einer Nacht, in der ich viel trinke und Spaß habe, einmal einer anderen Frau hingebe, die einen tollen Körper hat, aber von der ich genau weiß, dass ich sie nie wieder sehen möchte? Liebe ich sie nicht, wenn ich trotz dieses „Betrugs“ genau weiß, dass sie das einzige Mädchen ist, mit dem ich zusammenleben möchte? Das ist jetzt alles hinfällig, meinte er, ich brauche mehr Freiraum, Zeit für mich, zum Nachdenken, um mich in den Griff zu bekommen, endlich, nach all diesen Jahren. Ich habe das Gefühl, dass ich seit der Schule nicht mehr von der Stelle gekommen bin, dass ich nichts erlebt, mich nicht weiterentwickelt habe. Natürlich ist in der Zwischenzeit viel passiert in meinem Leben. Doch was ist aus mir geworden? Was hat sich in mir drin verändert? Was ist besser an mir? Nichts! In meiner Zivi-Zeit verträumte ich den ganzen Tag. Ich verbiete mir nun diese Träume. Sie schaden mir. 
Warum? fragte ich, das erste Mal seinen Redefluss unterbrechend, obwohl ich es nur zu genau wusste und schon oft an ihm bemängelt hatte, seine Trägheit, Kraftlosigkeit; es reichte ihm von seinen Erfolgen zu träumen, das gab ihm genug Kick, um glücklich zu sein. Andere Menschen – wie ich zum Beispiel –, träumten davon, ein berühmter Schriftsteller zu werden, einen Nobelpreis zu erhalten, viel Geld damit zu machen. Dann wachten sie auf, merkten, dass sie noch nichts dafür getan haben, dieses Ziel zu erreichen, beispielsweise ein vernünftiges Buch zu schreiben, finden das wahnsinnig frustrierend, wenden sich irgendwelcher Arbeit zu, die sie tun müssen, oder sie setzen sich an den Schreibtisch und fangen mit dem schriftstellerischen Werk an. Levent träumt vom Erfolg und ist danach glücklich. Ich träume vom Erfolg und bin hinterher ernüchtert. In jungen Jahren, mit achtzehn oder neunzehn, da man sich so klug und weltgewandt und talentiert findet, ist man von sich überzeugt, fühlt sich unruhig, möchte Tag und Nacht an seinen Geschichten arbeiten, möchte endlich reich und berühmt werden, möchte nur das machen, was einem vorherbestimmt zu sein scheint. Später wird man ruhiger, merkt, dass es nicht darauf ankommt. Die Zeit wird alles bringen. Man widmet sich seinen Aufgaben, lernt das Leben. Lernt die Menschen kennen, deren Gefühle, Gedanken und Taten, lässt die jugendlichen Deutungen weg, die aus einer einzigen Perspektive heraus gesehen werden, ist vielleicht irgendwann einmal so weit, etwas Schlaues auf Papier zu bringen. Auch ich hege noch diese Hoffnung. Vielleicht irgendwann einmal. In zehn Jahren oder auch zwanzig. 

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