Die Kurtchen-Szene
Heute etwas ganz Besonderes: die Autorin Ulrike Sabine Maier, meine Kollegin in der Textwerkstatt Darmstadt (Leitung KURT Drawert), geboren 1968 in Sinsheim, Preisträgerin bei Literaturwettbewerben (z.B. in Stockstadt 2007), Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, hat mir ihren kleinen schönen Text über unseren Schreibworkshop (im Juli im Odenwald) zum Veröffentlichen zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!
Die Kurtchen-Szene
Ich hätte Flaubert nie geliebt.
Die Nachthitze liegt schwer auf den Schultern. Flaschen auf dem Tisch, vorwiegend leere, unzählige. Eine Schweißperle rinnt ihm an den Schläfen entlang. Sein Blick vibriert. Drei Jahre nur davon erzählt und plötzlich lebt sie, die Bovary. Rouen hat keine Leidenschaft, Ru-eng entfacht sie.
„Die Kutsche“, ruft er. „Sie fährt ohne Plan und Ziel! Versteht ihr.“ Er zieht uns rein, in die Kutsche mit den vorgezogenen Vorhängen. Die Luft kommt in Wallung, die müden Lider werden aufgerissen, zwei tönerne Hühnchen fixieren uns, teilnahmslos.
„Zick- Zack.“ jubelt er. „Durch die ganze Stadt!“ Seine Stimme überschlägt sich fast, die Sprache wird rotweinschwer, reißt uns hin und her zwischen den Straßen der Stadt, die eine französische ist, aber für uns die Hitze dieser Nacht bedeutet.
Neben ihm die Frau mit nur einem Stimmband, die ihre Texte wie Stein bearbeitet, den Freejazz der Literatur. Sie bläst den Rauch über die Seiten. „Diese Straßen, die gibt es alle.“ Ru-Eng, ruft er, immer wieder Ru-Eng, das zum Tier wird, zur Geliebten, sich gebärdet, räudig, wild, in seiner Begeisterung, Bilder in unsere Köpfe zwingt mit der Stimme eines von Sprache und Emotion Besessenen.
Der blonde Marburger, der immer den richtigen Ton findet, ein gutes Wort hat, schenkt sich nach, sieht eine Droschke mit galoppierenden Pferden. Eine Flasche fällt um. Özil fängt sie auf, Özil schießt uns ins Halbfinale, Özlem so stark in ihrer Zerbrechlichkeit. Die Pferde sind schweißnass, halten nicht inne, der badische Grieche mit der Narbe am Knie, der Themen literarisch bearbeitet, an die sich kein anderer traut, leert sein Glas und lehnt sich gemartert zurück. Weißer Schaum an den Mäulern, Elektrizität zwischen ihm, dem Lesenden, Fühlenden, dem Lebenden und uns. Der Sauerstoff wird rar, der Rauch beißt uns in den Kehlen. Die Frau neben mir richtet sich auf, wie zum Sonnengruß, in sich ruhend, Fels an den vorbeirasenden Ufern des Flusses. Die Bovary, sie liebt, sie lebt, körperlich, hier bei uns, in dieser Nacht, in unserer Hitze. Arno hustet, dürstet, wie der Kutscher, setzt im Geiste schon Verse zusammen, die Fahrt, die Nacht, Rauch und Schweiß, das Wiehern der Pferde, das Staunen der Leute, die Straßen von Rouen, die tönernen Hühnchen vom Odenwald. Unser Atem geht schwer, wir hecheln, die Augen sind rot unterlaufen. Ein letzter sich überschlagender Satz, die Dämmerung bricht an, der Wagen hält. Bovary sackt in sich in die Stille.
Wir grüßen den Schatten des Meisters. Ein Leben berührt das andere.
Ich hätte Flaubert nie geliebt. Nicht so. Nie wie jetzt.
Die Kurtchen-Szene
Ich hätte Flaubert nie geliebt.
Die Nachthitze liegt schwer auf den Schultern. Flaschen auf dem Tisch, vorwiegend leere, unzählige. Eine Schweißperle rinnt ihm an den Schläfen entlang. Sein Blick vibriert. Drei Jahre nur davon erzählt und plötzlich lebt sie, die Bovary. Rouen hat keine Leidenschaft, Ru-eng entfacht sie.
„Die Kutsche“, ruft er. „Sie fährt ohne Plan und Ziel! Versteht ihr.“ Er zieht uns rein, in die Kutsche mit den vorgezogenen Vorhängen. Die Luft kommt in Wallung, die müden Lider werden aufgerissen, zwei tönerne Hühnchen fixieren uns, teilnahmslos.
„Zick- Zack.“ jubelt er. „Durch die ganze Stadt!“ Seine Stimme überschlägt sich fast, die Sprache wird rotweinschwer, reißt uns hin und her zwischen den Straßen der Stadt, die eine französische ist, aber für uns die Hitze dieser Nacht bedeutet.
Neben ihm die Frau mit nur einem Stimmband, die ihre Texte wie Stein bearbeitet, den Freejazz der Literatur. Sie bläst den Rauch über die Seiten. „Diese Straßen, die gibt es alle.“ Ru-Eng, ruft er, immer wieder Ru-Eng, das zum Tier wird, zur Geliebten, sich gebärdet, räudig, wild, in seiner Begeisterung, Bilder in unsere Köpfe zwingt mit der Stimme eines von Sprache und Emotion Besessenen.
Der blonde Marburger, der immer den richtigen Ton findet, ein gutes Wort hat, schenkt sich nach, sieht eine Droschke mit galoppierenden Pferden. Eine Flasche fällt um. Özil fängt sie auf, Özil schießt uns ins Halbfinale, Özlem so stark in ihrer Zerbrechlichkeit. Die Pferde sind schweißnass, halten nicht inne, der badische Grieche mit der Narbe am Knie, der Themen literarisch bearbeitet, an die sich kein anderer traut, leert sein Glas und lehnt sich gemartert zurück. Weißer Schaum an den Mäulern, Elektrizität zwischen ihm, dem Lesenden, Fühlenden, dem Lebenden und uns. Der Sauerstoff wird rar, der Rauch beißt uns in den Kehlen. Die Frau neben mir richtet sich auf, wie zum Sonnengruß, in sich ruhend, Fels an den vorbeirasenden Ufern des Flusses. Die Bovary, sie liebt, sie lebt, körperlich, hier bei uns, in dieser Nacht, in unserer Hitze. Arno hustet, dürstet, wie der Kutscher, setzt im Geiste schon Verse zusammen, die Fahrt, die Nacht, Rauch und Schweiß, das Wiehern der Pferde, das Staunen der Leute, die Straßen von Rouen, die tönernen Hühnchen vom Odenwald. Unser Atem geht schwer, wir hecheln, die Augen sind rot unterlaufen. Ein letzter sich überschlagender Satz, die Dämmerung bricht an, der Wagen hält. Bovary sackt in sich in die Stille.
Wir grüßen den Schatten des Meisters. Ein Leben berührt das andere.
Ich hätte Flaubert nie geliebt. Nicht so. Nie wie jetzt.
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