Die indonesischen Schwestern von Sandra Wöhe

Foto von Daniela Lettner
Wir saßen in einem Hotel-Restaurant gegenüber vom Bahnhof in Frankfurt, die Kellnerin traute sich nicht mehr in unsere Nähe, wir nahmen ein Interview für Radiosub, dem schwullesbischen Magazin auf Radio X Frankfurt, auf: Marcus, ich und die wundervolle Sandra Wöhe, die ich ab dem ersten Moment lieb gewonnen hatte, so schnell geht das manchmal bei mir. Ich hätte ihr am liebsten noch ganz viele Fragen gestellt, so interessant fand ich sie, so klug. Die Gelegenheit bot sich dann tatsächlich auch. Wir hatten die gleiche Richtung, fuhren also noch ein paar Stationen mit der U-Bahn - und beschlossen in Kontakt zu bleiben. Sie versprach mir an Weihnachten Karten zu schicken, und die letzten zwei Jahre dachte sie tatsächlich daran. Aber noch mehr freute ich mich vor kurzer Zeit, als ich ein Paket von ihr erhielt und ein bananenblattgrünes Buch zum Vorschein kam. 


Ich muss zugeben, dass ich zunächst die Befürchtung hatte, einen ähnlichen Stoff lesen zu müssen, wie den, den Sandra Wöhe in ihrem letzten Roman bzw. Hörbuch "Giraffe im Nadelöhr" bearbeitet hatte. Dieses Werk war durchaus amüsant und technisch gut gemacht (insbesondere das Hörbuch mit der hervorragenden Nela Bartsch), aber noch so einen "Lesbenroman", der mit Liebesszenen und Liebesgeflüster nicht gerade sparsam umgegangen ist, hätte ich mir als schwuler Mann nicht mehr geben wollen. Umso überraschter, aber auch umso freudiger, war ich, als ich ein Buch in Händen hielt und las, das meiner Meinung nach ein sehr gut geschriebener Familienroman ist. Er handelt von einem "Frauen"-Haushalt: noch in Indonesien verstirbt überraschend der deutsche Ehemann von Phyllis, die sich dazu entscheidet, mit ihren drei Töchtern ihr Heimatland zu verlassen und in das Heimatdorf des Verstorbenen nach Nordrhein-Westfalen zu ziehen. Obgleich sie perfekt Deutsch sprechen, werden sie jahrelang als Fremde betrachtet, als die "Schlitzaugen" in diesem Dorf, die auf Schritt und Tritt beobachtet und kommentiert werden. Die Frauen tratschen über sie, die Männer gieren nach ihnen. Der Roman erzählt kunstfertig vier Tage aus dem Leben der Damen, beginnend drei Jahre nach Ankommen in der Stadt, als das uneheliche Kind der jüngsten Tochter auf die Welt kommt. In den nächsten drei Kapiteln wird immer ein weiterer Tag pro Jahr der Kosmos dieser starken Frauen beschrieben, mit all den Verwicklungen im Alltagsleben der Heldinnen. Ja, es ist ein Roman über Integration, vermutlich über misslungene Integration, aber nicht, weil die Heldinnen sich nicht "integrieren" können - schließlich ist so etwas beidseitig -, sondern weil sie es nicht dürfen, es wird ihnen nicht gestattet. Eine der Töchter ist lesbisch, ja, und es wird in einer Kritik lamentiert, dass dieses Lesbischsein nicht genug thematisiert wird in diesem Roman. Phyllis, die Mutter, nimmt die Tatsache, dass ihre Tochter nun eine Freundin hat, sehr locker hin, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Doch es würde zu dieser weisen Frau, die in ihrer neuen Heimat so verloren scheint, nicht passen, ein Drama daraus zu machen. Es ist eine fein-gesponnene Erzählung mit vielen spannenden Formulierungen, die aus dem Indonesischen stammen, es ist wahrscheinlich das persönlichste Buch der Autorin niederländisch-indonesischer Herkunft, die nun in der Schweiz lebt. Die Charaktere sind nicht nur sehr nachvollziehbar, sie sind sehr sympathisch und haben einen ganz eigenen Humor. Schön ist, wie zum Beispiel Gritta, die jüngste Tochter, gelegentlich Kopftuch trägt wie ihre muslimische Freundin Suleika, um sich mit der zu solidarisieren, sogar für sie den Kopf hinhalten würde. Und man regt sich automatisch über diese dämlichen deutschen Nachbarn auf, wenn sie die Frauen ungerecht behandeln, so viel Identifikationspotenzial hat dieser Roman zu bieten. Es ist absolut lohnenswert, diesen Roman "Die indonesischen Schwestern" von Sandra Wöhe zu lesen. Er ist im Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke im Jahr 2011 erschienen. Die kartonierten 288 Seiten sind für nur 9,90 Euro im Fachhandel erhältlich. Bitte lesen! :-) 

Kommentare

  1. PS: Arbeite schon an der neuen Weihnachtskarte. Die Briefmarken habe ich schon. Es ist ein wenig altmodisch, aber nun ja, es macht mir Freude. Und dir auch, das freut mich umso mehr.

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  2. und wie ich mich freue! :-)
    übrigens: eine tolle fotografin! sehr schöne bilder von dir! :-)

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  3. Nina Hüttmann (http://www.ninahuettmann.de/). Sie hat mich aus der Gayvention 2010 geholt. Ich war so was von gestresst. Dann gingen wir auf das Parkhausdach. Sie zückte die Kamera und innerhalb Sekunden war ich ruhig. Wo sie den Zauberstab her hatte, weiß ich heute noch nicht, vielleicht war es ihr lächeln.

    Du sag mal, woher hast du eigentlich das Foto, ja, das in deinem Blog. Na klar, muss es von mir sein, geht wirklich nicht anders, aber … nun ja, dieses da, ja das da, gebe ich eigentlich nie frei. Darum wundert es mich … also … es hier zu sehen. Hast du Lust zu tauschen? Hätte noch ein paar nagelneue von Daniela Lettner (http://danielalettner.carbonmade.com/).

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  4. ich kann es gerne tauschen. wie du magst. das tut mir leid, ich dachte, es wäre eines der freigegebenen, das steht doch der link - kommt man damit nicht drauf??? immer merkwürdig das internet... dann schaue ich morgen mal, welches ich von den daniela lettner fotos nehme. fand das eben besonders schön! :-))

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  5. Vorschlag! Ich gebe dir ein ähnliches von Nina Hüttmann. Einverstanden? Maile es dir über Facebook. Okay?

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  6. Tatsächlich! Ich habe es auch gefunden. Das Foto ist öffentlich, somit freigegeben. Wie geht das denn? Komisch ... dann nimm es, wenn es dir so gut gefällt. Meine Eitelkeit wird es überleben ;-)

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  7. also, meine liebe sandra, du bist so fotogen! da finden sich dutzende von wundervollen bildern. das neueist auch sehr schön! :-) das bleibt jetzt :-)

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