Der Zwang

„Du kennst mich genau – also, was glaubst du, was die Antwort auf deine Frage ist?!“ – „Ja. Ich hätte nicht fragen brauchen; ich hätte es schon längst wissen müssen.“ – „Du wusstest es, schließlich hast du mich ja selbst drauf gebracht. Nur hast du es trotzdem geschickt verdrängt.“ – „Ja?“ – „Ja, sicher!“ – „Und wie ist es denn so? Kannst du es mir erklären?“ – „Es ist schwierig. Mir fehlen die Worte. Was soll man denn sagen. Das Gefühl ist zu unbestimmbar. Weißt du, es ist – ja, wie soll man sagen, es ist wirklich so ein unbestimmbares, unbenennbares, diffuses Gefühl. Dafür gibt es keine Worte.“ – „In der Tat: Gefühle kann man sehr schlecht beschreiben, aber versuche es bitte!“ – „Ich muss es tun. Ich –
Es ist Entspannung. Wenn auch nur für kurze Zeit. Halt! Das war zu voreilig. Da ist etwas, das mich zwingt. Es sagt: Du musst es tun, weil… Ich tue es, genauso wie es mir diktiert wird. Wenn ich es nicht tue, bin ich wie gelähmt, ich kann an nichts anderes denken. Immer nur das! Bis ich das von mir Verlangte endlich mache. Und wenn ich diese – na, wie kann man es nennen – Aufgabe bewältige, dann gibt es eine kurze Entspannung. Aber leider nicht für allzu lange Zeit. In schlimmen Phasen nur für Minuten, in guten vielleicht auch Stunden. Dies ist jedoch selten. Fast nie. Dann beginnt es von Neuem.“ – „Ein Ritual.“ – „Nun, ich muss es ja auf eine bestimmte Weise erledigen. Da gibt es keine Kompromisse. Sonst muss ich neu anfangen. Ich muss – sonst gibt es keine Ruhe! Sonst habe ich keine Ruhe.“ – „Wie?“
„Schwer zu sagen. Ein Unwohlsein, Nervosität, manchmal Panik. Hysterie. Ein – etwas furchtbares – Gefühl, ich weiß nicht. Du kannst es nicht verstehen. Niemand kann es verstehen! Man isoliert sich. Niemand darf es bemerken. Panik, dass es doch jemand herauskriegt. Das verstärkt dieses Gefühl. Schlimm: es wird verlangt; gleichzeitig darf es niemand merken – aber man muss es ja tun! Doch wie verbergen? Das ist oft ein großes Problem.“ – „Schämst du dich?“
„Und wie ich das tue! Das würde jeder tun. Das tut auch jeder, der diese inneren Stimmen hört! Jeder. Das kommt noch dazu. Die Scham. Die Angst vor dem Entdecktwerden. Das Gefühl ein Versager und Nichtsnutz zu sein. Alles das spielt in dem Moment da mit hinein. Doch man muss es trotzdem tun. Man tut es. Mit schlechtem Gewissen hinterher. Doch in dem Augenblick gibt es keine andere Möglichkeit!“ – „Und seit wann kennst du das?“ – „Wann kannte ich es nicht?! Immer schon. So weit ich mich zurückerinnern kann. Es war da, mein ganzes Leben bereits. Manchmal schlummerte es, manchmal brach es ganz doll durch. Manchmal war ich so kurz davor durchzudrehen, dass es niemand glauben könnte. Wie oft dachte ich: hey, das muss nun aufhören, sonst – sonst bringst du dich um, damit es endlich, endlich vorbei ist. Du willst nicht mehr, du kannst nicht mehr. Kennst du das?“ – „Ja. Ich kenne das. Leider.“ – „Naja, ob du das wirklich kennen kannst??? Ist ja auch egal!“
„Sind es immer die gleichen Rituale?“ – „Nein, die verändern sich! Immer wieder etwas Neues; und teilweise sind sie so voneinander verschieden, dass man es kaum glauben kann.“ – „Das ist also des Rätsels Lösung! So vieles lässt sich daraus erklären. So viele Momente, in denen ich glaubte, dass du ein Spinner bist, dass das alles nicht sein kann. So viele Momente, in denen ich fassungslos auf dich wartete, ungläubig, irritiert, verwirrt…“ – „Ich weiß! So vieles kann auch ich mir nun viel besser erklären. Weißt du, es ist ja nicht so, dass man sich dessen bewusst ist, was man macht. Zumindest am Anfang. Man merkt es selbst erst viel später. Man weiß bald, dass etwas anders ist. Aber was soll das bedeuten? Und vielleicht – ja, vielleicht hat trotzdem alles seine Richtigkeit – wer weiß?! Man ist noch jung und unerfahren. Die Menschen um dich herum bemerken es oft nicht. Manchmal jahrelang nicht. Erstens, weil der Betroffene es gut verbirgt und zweitens, weil sie nie drauf kommen würden. Wie denn auch?!“ – „Nun, ich…“ – „ Du! –“
Er begann zu lachen. Wie sehr liebte er ihn in diesem Moment. Auch sein Gegenüber lachte nun. Sie schauten sich an, genauso intensiv wie sie es bereits in dem gerade begonnenen Gespräch getan hatten. Doch in diesem Moment auf eine andere Weise: verschmitzt. So wie man sich anschauen kann, wenn man sich sehr gut kennt, sehr lange und in tiefer Verbundenheit. So wie man es tun kann, wenn man gemeinsame Erinnerungen hat, eine gemeinsame Basis.
„Du weißt alles! Irgendwie. Ja, das Irgendwie passt zu dir. Meistens redest du so viel, hast so viele Ideen und Gedanken – und manchmal auch Hirngespinste –, dass man oft sehr viel später erst merkt, dass du das richtige gesagt hast. Du sagst das, was für einen wichtig ist, erst irgendwie, irgendwo mittendrin – und mit genau diesen Worten. Drumherum müllst du einen zu.“ – „Hey!“ – „Es ist so!“ – „Ich bin so schlau! Ich muss viel von mir geben. Du verstehst es nur nicht immer. So ist das – irgendwie!“
Die beiden lachten.

Kommentare

  1. Uuuuh - das ist aber TIEF aus dem Innersten heraus geschrieben.

    Da kann man als Außenstehender garnicht folgen :-/
    Beabsichtigt???

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  2. mh, man könnte es verstehen, wenn man ähnlich fühlte... :-)
    und nur die sollen folgen können ;-)

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  3. Okay - bin schon weg ;-)

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  4. hahaha... du hast andere marotten und witzige soap-geschichten auf lager. dein blog wäre viel spannender, wenn du einen hättest ;-)

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  5. Ja, könnte sein mein Hase!
    Nur bin ich nicht so mitteilsam (jetzt schmunzelst du sicher, hmmm!?).

    Ne, aber mal ehrlich:

    Mein Gedankenchaos, meine Unsicherheiten, meine Soap im Allgemeinen und im Speziellen eröffnet sich auch nur SPEZIELLEN Menschen!
    Nicht der Allgemeinheit...

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