Padraig und Peadar -1-

Als ich vor einigen Jahren nach Irland fuhr, lernte ich einige tolle Leute kennen, darunter auch die wunderbare, noch einzig lebende richtige Märchenerzählerin, die tatsächlich schon hundertzehn Jahre zählte. Eines Abends wurde ich von einer irischen Freundin zu einem Erzählabend dieser sehr alten Dame mitgenommen. Sie setzte an: „Heute werde ich euch eine Geschichte erzählen, die ich bisher erst einmal von mir gegeben habe. Und das aus gutem Grund, denn im katholischen, konservativen Irland ist dieses Märchen erfolgreich unterdrückt worden, dabei ist es ein wunderschönes, nur eben etwas verrucht in den Augen der meisten Menschen. Aber hier stoße ich auf ein tolerantes, offenes Publikum.




Da gab es einmal vor sehr langer Zeit einen alten König Fiachna, der das Königreich Galway regierte. Er war sehr beliebt bei seinem Volk, denn er war gütig und großzügig, tapfer und weise, und er hatte eine Schlitzohrigkeit, die jeder, der ihn kannte, aufreizend fand. Jeder wusste, dass er das Leben liebte und dass er glücklich war, obgleich seine von ihm über alles geliebte Ehefrau viel zu früh verstorben war und ihn alleine ließ mit den beiden Söhnen Liam und Padraig. Die beiden waren achtzehn beziehungsweise einundzwanzig, und nun war die Zeit gekommen, da der ältere so langsam die Stelle des alten Fiachna übernehmen sollte. Padraig wollte allerdings überhaupt nicht König werden, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Was sollte Fiachna nun machen? Schließlich besagte die Regel, dass der ältere Sohn sein Nachfolger werden müsse; der wollte nicht, also müsste er ihn ausstoßen, das wiederum erschien ihm als keine glückliche Lösung. Padraig sagte: „Hör zu, Vater, ich habe noch nicht gelebt, noch nichts von der Welt gesehen, ich habe noch keine Erfahrungen gesammelt, ich bin noch nicht reif dafür, über ein Königreich zu herrschen. Ich hätte dich schon vor Jahren fragen sollen: Darf ich ein bisschen umherstreifen, durch das Land ziehen, meinen eigenen Weg finden? Vielleicht werde ich später ein guter Herrscher werden.“ Fiachnas Stirn legte sich in Falten: Padraig wollte von dannen ziehen und Liam erschien ihm noch zu jung, so beschloss er ein bis zwei Jahre weiter zu herrschen, bis Liam so weit wäre. Padraig verließ die beiden. Er nahm nicht viel mit, ein bisschen Verpflegung, ein paar Goldmünzen, und er sattelte sein Lieblingspferd. Liam war sehr traurig über den Fortgang seines älteren Bruders, denn er hing an ihm. Padraig ritt einfach drauflos, er lebte in den Tag hinein und kümmerte sich wenig um seine Zukunft. Fiachna hingegen wendete sehr viel Zeit darauf, seinen jüngeren Sohn Liam die Feinheiten des Regierens näherzubringen. Es war eine gute Zeit dazu, da es ausnahmslos ruhig war in Galway, wenig Probleme drückten die Bewohner, es herrschte kein Krieg und auch keine Krankheitsepidemie oder Hungerkatastrophe. Liam lernte schnell und Fiachna dachte daran, ihn bald als Nachfolger einzusetzen. Im ganzen Reich ließ er verlautbaren, dass sein Sohn Liam am Tag der Wintersonnenwende gekrönt werde und dass alle seine Gefolgsmänner zu diesem Ereignis auf sein Schloss kommen sollten. Gleichzeitig verhandelte er mit anderen Herrschern über eine Heirat seines Sohnes mit einer von deren Töchtern. Die Tochter des Herzogs von Cornwall, Lucille, bekam den Zuschlag. Am Tag der Wintersonnenwende war alles bereit. Alle Gäste, Lucille eingeschlossen, waren da, die Krönung und die Feier vorbereitet. Nur Liam ließ sich nicht blicken. Er hatte in den Wald gehen wollen, sich vor diesem nervenaufreibenden Tag noch einmal entspannen, doch er war nicht zurückgekehrt. Fiachna machte sich Sorgen, er sprach sich mit dem weisen Gareth aus und der riet ihm einen Trupp loszuschicken, der Liam suchen sollte. Die gesamte Gästeschar beunruhigte sich: „Was mag wohl nur geschehen sein?“ Man suchte und suchte und fand Liam erst einmal nicht. „Ich habe ihn!“ schrie plötzlich Gaheris, ein Cousin des Gesuchten. „Er liegt hier, hinter der großen Pinie und atmet nur noch ganz schwer. Er glüht.“ Eilig hoben die Männer Liam hoch und trugen ihn ins Schloss. Der heilkundige Gareth untersuchte ihn sofort und sagte: „Wir müssen sofort sein Fieber senken und einen Boten nach Fermanagh schicken. Dort hat die ehrwürdige Niamh Kräuter, die ihn vielleicht noch vor dem Tod retten.“ Doch auch diese Kräuter halfen nicht viel. Liam blieb in dem fieberhaften Zustand und wurde von seinem Vater verzweifelt gepflegt. Keiner wusste, wie es weitergehen sollte. Gaheris, der all zu gerne die Macht in diesem Reich übernommen hätte, bot sich an, die Geschäfte seines Onkels weiterzuführen, doch der entgegnete ihm: „Es geht schon. Ich werde es alleine schaffen.“ Gareth riet ihm, seinen anderen Sohn suchen zu lassen. Nun schickte Fiachna erneut einen Trupp los, doch Padraig wurde nicht gefunden. Der König verbitterte. Eines Tages wollte ihn Peadar, der Sohn seiner eifrigsten Magd, sprechen. Der erzählte: „Gestern Nacht hatte ich einen Traum, in dem ich Padraig vor mir sah. Ich würde mich gerne auf die Suche nach ihm begeben. Kann ich mit Eurer Hilfe rechnen?“- „Ja, selbstverständlich. Du kannst alles haben, was du brauchst. Wenn du ihn nur finden könntest...“ Peadar machte sich auf den Weg. 


Lucas Cranach d. Ä.
Er hatte im Traum einen Ort gesehen, an dem junge Männer nackt in einem See badeten und beieinander lagen, und mittendrin hatte er Padraig gesichtet. Aber wo war dieser See? Peadar wusste es nicht. Sein einziger Hinweis waren besonders geformte Felsen, die aus dem Wasser ragten. Er hatte davon gehört, dass im Süden Erins solche eigenartige Felsformationen existierten, doch er wusste nicht wo genau. Er ritt also zunächst in den Süden und fragte jeden nach diesen Felsen und nach diesem See, an dem Knabenliebhaber verweilten. Keiner kannte diesen Ort und hielt Peadar für einen perversen Wüstling. Oft entging er nur knapp Anschlägen auf sein Leben. Eines Tages traf er einen dunkelhaarigen Mann, der sich Ciaran nannte, und von diesem See wusste. Er fragte Peadar: „Na, mein hübscher, blonder Jüngling, suchst du jemand Bestimmtes dort? Wenn nicht, so würde ich dich gerne zu mir mitnehmen. Du gefällst mir.“- „Es wäre mir lieber, wenn du mich zu diesem Ort bringen könntest.“- „Aber es muss ja auch etwas für mich herausspringen“, entgegnete ihm Ciaran.
Fortsetzung folgt morgen! ...

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