Tour de Nordend - Teil 2 -


Jetzt stehe ich hier. Auf dem Bürgersteig. Ohne die alte Stehlampe. Mit ihrem weißen Schirm. Ohne den alten Nierentisch. Der schon immer in der Mitte des Raumes gestanden hatte. Ohne diesen grässlichen Schaukelstuhl. Der machte mich immer schwindelig, wenn jemand darauf saß. Und sich schaukeln ließ. Schwindelig. Auf der Straße ist es nicht überheizt. Ich befinde mich neben der Hauswand. Die Eingangstüre links. Es laufen Leute vorbei. Tätscheln mich. Öffnen die Schiebetüren. Schauen sich das Radio an. Was nichts bringt. Ich brauche Strom. Schauen sich den Plattenspieler an. Nicken anerkennend. Ein Mann mit Buckel: Früher war alles besser! Ein Mann mit Bierbauch antwortet: Ja, diese Musiktruhen sind toller als diese Stereo-Anlagen unserer Kinder. Und schöner als diese kleinen „Player“ unserer Enkel. Sie nehmen mich trotzdem nicht mit.
In den letzten Monaten sah ich nur wenige Menschen. Diese alte Frau. Und den Mann mit der Brille. Jetzt sehe ich viele Leute. Verschiedene Leute. Dicke und dünne, kleine und große, hübsche und hässliche. Die meisten laufen weiter. Ohne mich zu beachten. Mir bleibt nichts anderes als sie zu betrachten. Was soll ich sonst tun? Manche Menschen sind leise, manche laut. Gerade eben lief ein weibliches Wesen an mir vorbei. Sie schob etwas Merkwürdiges. Darin schrie etwas ganz schrecklich. Das fand ich unangenehm. Was das wohl war? Vorhin liefen kleine Menschen an mir vorbei. Die lärmten auch so sehr. Ich weiß nicht warum. Sie brüllten etwas. Es hörte sich ein wenig nach Musik an. Aber irgendwie auch nicht. Zuerst sagte der eine ganz laut so etwas wie „Sido“, was auch immer das sein soll. Danach verstand ich Gängsta. Auch das kenne ich nicht. „Ich bin kein Gängsta, kein Killa, ich bin kein Dieb, ich bin nur ein Junge von der Straße“. Auch Killa sagt mir nichts. Merkwürdig. Grölen da rum. Hauen sogar kurz auf mich ein, gleichzeitig.
Ja, diese Menschen sind merkwürdig. Ich schaue auf die andere Straßenseite. Da läuft ein Mensch mit einem Stock herum. Er benutzt ihn aber nicht zum Aufstützen. Er schlägt damit leicht auf den Boden. Immer zuerst nach links ziehend. Dann nach rechts. Immer wieder. Und wenn er ein Hindernis erkennt, schlägt er fester zu. Und läuft anders. Macht einen weiten Bogen um das Hindernis. Und schwankt leicht dabei. Verstehe ich nicht. Doch nach zehn Minuten kommt eine Frau. Die hat auch einen Stock. Und bewegt sich eigenartig voran. Auch sie benutzt den Stock auf wilde Weise.




Plötzlich setzt sich jemand auf mich drauf. Was soll das? frage ich mich. Und dann folgt schon der zweite Mensch, der mich offensichtlich als Stuhl benutzt. Ja, wissen die denn nicht… Sie schlecken beide ein Eis. Auf der anderen Straße ist ein Eiscafé. Es heißt Christina. Es ist seit Stunden stark frequentiert. Ich frage mich warum. „Schatz“, höre ich die eine Person sagen, „sollten wir nicht endlich zusammenziehen?“ Da erwidert die andere Person: „Fällt dir das ein, während du hier den Sperrmüll betrachtest?“ – „Ach, ja, glaubst du nicht auch, dass in unserer ersten gemeinsamen Wohnung so eine Musiktruhe stehen könnte?“ – „Du spinnst wohl! In unsere Wohnung kommt kein alter Kram!“ Die eine Person springt plötzlich von mir. Sagt offensichtlich hocherfreut: „Was? Wir ziehen also zusammen?“ – „Ja, irgendwann sicher.“ Auch sie springt auf, küsst ihn auf den Mund. Sie nimmt seine Hand und sie gehen weiter. Das muss Liebe sein, glaube ich. Ich kenne das nur von den Platten früher. Die Sängerinnen erzählten auch immer von Händchenhaltenden Menschenpärchen.
Ein anderes Pärchen läuft fünf Minuten später an mir vorbei. Das ist viel seltsamer. Sie bleiben stehen, neben mir. Der Mann schreit die Frau an: „Schlampe, dir geht es wohl zu gut!“ Sie antwortet: „Ey, Alter, machma halblang!“ Plötzlich klatscht es. Er hat sie geschlagen. Sie weint. Rennt davon, ganz schnell. Er hinterher. Das ist wohl das Gegenteil von Liebe? Ich weiß das nicht.
Das nächste Pärchen bleibt stehen. Aber nicht streitend. Sie schauen mich an, prüfen mich. In diesem Moment kommt der Mann mit der großen Brille heraus. „Ja“, sagt er, „das Radio geht einwandfrei, der Plattenspieler nicht mehr. Aber das könnte man leicht beheben. Sieht schön aus, das Teil, oder?“ – „Ja, sehr“, tönt es aus beiden Mündern. „Ob wir den geschleppt bekommen?“ fragt nun die Frau. Er antwortet ihr: „Na, klar, sind ja nur ein paar Häuser weiter.“ Nun mischt sich der Mann mit der Brille ein: „Ich kann euch helfen!“
Es ist wirklich nicht weit. Die drei Menschen schleppen mich an den beiden Häusern vorbei. Über die Straße. Dann noch einmal zwei Häuser. Der Dönerladen. Und gleich daneben ist der Hauseingang. Leider geht es einige Treppenstufen hoch. Auf der vierten Etage entgleite ich dem Mädchen aus ihren Händen. Doch die Männer verhindern, dass ich auf dem Boden aufkomme. Dann schaffen sie es endlich in die fünfte Etage. Puh! War ja für mich fast so anstrengend wie für die. Meine Nerven.

Fortsetzung folgt.... später...

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