Frühstück mit Scot

Da ist wohl etwas an mir vorbeigegangen: Weder das bereits 1999 geschriebene Buch Breakfast with Scot noch die kanadische Verfilmung des Stoffes im Jahre 2007 waren mir bekannt. Umso schöner, dass Joachim Bartholomae vom MännerschwarmVerlag für das deutsche Publikum nun diesen Roman aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzt hat.
Im Roman geht es um das gut situierte, in der konservativen Gesellschaft angekommene schwule Ehepaar Sam und Ed. Das Leben des gesund lebenden Chiropraktikers und des Mitarbeiters einer italienischen Kunstzeitschrift wird auf den Kopf gestellt, als Scot in ihr Leben tritt. Scot ist der Sohn der drogensüchtigen Julie, die in ihrem Vermächtnis die beiden Männer darum bittet, sich nach ihrem Tod um den Jungen zu kümmern. Im Grunde genommen wäre eher Julies Ex-Freund Billy derjenige gewesen, der sich um Scot hätte kümmern sollen, doch dieser, der der Bruder von Sam ist, ist nicht erwachsen genug. Er flieht nicht nur die Beziehung, sondern entflieht gleich auf einen anderen Kontinent. Sam und Ed sind ganz normal in Anführungsstrichen. Ed, ehemals Hockeyspieler, Sam sehr männlich und vernünftig. Niemals küssen sie sich in der Öffentlichkeit. Umso schockierter sind sie dann, als sie feststellen, dass Scot eine Tunte, wie sie im Buche steht, ist. Er steht auf parfümierte Cremes, Badezusätze und pastellfarbene Schals. Schnell bringt das elfjährige Kind Unruhe in das soziale Umfeld der beiden, von Neugier über echte Hilfsangebote bis zu offener Schadenfreude der Nachbarn. So werden angesichts des Sissy Boys von nebenan schnell die Zugbrücken zu den Homes und Castles in der Nachbarschaft hochgezogen. Nichtsdestotrotz kämpft sich der kleine Charmebolzen durch und gewinnt nicht nur die Herzen des Paars, sondern auch einige Freunde. Gemeinsam mit Sam und Ed steht er alle Hänseleien in der Schule durch, sogar als er gleich zwei Mal abgeholt werden muss, weil er Nylonstrümpfe in der Schule trägt. Letztendlich wird der Tunten-Level auf erträgliche Maße heruntergehandelt.
Ein wirklich sympathisches Buch, dieser Roman „Frühstück mit Scot“ von Michael Downing, der viele unserer eigenen Vorurteile in der Szene hinterfragt und auf den Kopf stellt. Es ist der moderne spießige Teil von Amerika, der hier persifliert wird, die Reihenhaus-Gegenden, die Möchtegern-Toleranten. Doch dann taucht ein selbstbewusster junger Mann auf, der auf rosa Klamotten, tuntige Schals und Gürtel, auf blauen Lidstrich steht, und bringt alle durcheinander. Da legt ein Vater dem vierjährigen Sohn den Handrücken auf die Stirn, nachdem Scot mit ihm Cheerleader gespielt hat - “wahrscheinlich, um seinen Testosteronspiegel zu testen”, kommentiert der Erzähler. Ja, plötzlich haben die Menschen Angst, dass die Kindern mit dem „Schwulen-Virus“ infiziert werden könnten, Sam und Ed sind da ja anders…
Michael Downing hat einen sozialkritischen Roman über das gegenwärtige Amerika geschrieben. Ich möchte nicht verallgemeinern. Es geht um die weiße Mittelschicht in Neuengland, in der Nähe von Harvard. Da lästert Ed über die Lehrerin von Scot, die scheinbar Pädagogik ohne das Medium Fernsehen nicht kennt. Spanisch wird gelernt, in dem man amerikanische Soaps auf Spanisch anschaut und Chips dabei isst.
Eine Textstelle, die mir gefallen hat, die mich an mich erinnerte und an einen Blog-Eintrag vor einigen Wochen:
Ich wusste, dass Höhenangst irrational ist, aber ich wusste auch von dem irrationalen Impuls, der mich befällt, , sobald ich zu nahe an einen Abgrund komme. Ich habe keine Angst zu fallen, ich habe Angst, dass ich springen könnte.

Quelle:
Michael Downing: Frühstück mit Scot / Roman /aus dem Amerikanischen von Joachim Bartholomae/ Klappenbroschur / 224 Seiten / 16,00 EUR (D) / ISBN: 978-3-939542-98-8

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