Der Arzt (Part Three)

„Wie ein Psychotherapeut?“ möchte ich wissen.
„Ja, wie ein Psychotherapeut,“ antwortet er, „und am besten schicken Sie mir Ihre Aufzeichnungen per Email, und wenn ich glaube, dass Sie reif für ein Gespräch sind, machen wir elektronisch einen Termin miteinander aus, für Sie opfere ich gerne einmal meine Freizeit.“
„Oh,“ ertönt es aus meinem Mund, „wie komme ich zu dieser Ehre?“
„Sie interessieren mich, wie gesagt. Wenn Sie nicht mein Patient wären ...“
„War das eine Anmache?“ frage ich perplex.
„Jetzt tun Sie doch nicht so unschuldig, wir sind beide erwachsen,“ sagt er mit einem Lächeln, das recht zweideutig anmutet.
„Ja, und der eine von uns beiden ist sehr viel erwachsener als der andere,“ dringt lauter als ich es beabsichtigt hatte aus mir heraus.
„Sie haben es wirklich im Griff, wirklich jedem, der Sie mag, einen verbalen Fausthieb zu verpassen,“ meint er, „zum Glück mag ich Kratzbürsten.“
So ein Idiot! Der tut gerade so, als hätte er mich durchschaut. Und ich hasse nichts mehr als Leute, die so etwas glauben. Ich weiß genau, was er nun wieder behaupten würde: ja, genau deswegen mögen Sie auch keine Therapeuten!
Blablabla. Waren Sie, liebster Leser, schon einmal bei einem Seelenklempner (wie es umgangssprachlich so schön – oder auch nicht schön – heißt)? All denen, die das gleiche Pech hatten wie ich, muss ich nichts mehr von Lackaffen erzählen, die sich besonders schlau vorkommen, oder von intellektuellen Hausfrauen mit Helfer-Syndrom ... Und all denen, die schon einmal von einem Arzt angebaggert wurden, muss ich ebenfalls nichts darüber berichten, wie eigenartig man sich in so einer Situation fühlt. In der Regel habe ich ein Problem mit dieser wissenschaftlichen Objektivität und mit dem ich-bin-Ihr-Arzt-und-Sie-mein-Patient-und-wir-dürfen-uns-nicht-persönlich-kennen-Schmuh. Was soll das? Aber in diesem Fall bin ich doch ganz froh, dass er ein Anhänger dieser Theorie ist, und ich will im Moment auch nicht mehr von ihm wissen, als ich bereits weiß. Dass er wohl schwul und sehr offen ist, was Anmache angeht, reicht im Augenblick vollkommen aus. Ich möchte nur noch hinaus aus diesem Zimmer.
In Gedanken versunken stehe ich auf, sage mechanisch Aufwiedersehen.
„Halt, ruft er, wollen Sie meine Email-Adresse nicht erfahren?“
„Doch, doch,“ meine ich, nun wieder zurück im Geschehen. „Habe ich Ihnen gesagt, dass mich das Grün in diesem Zimmer ganz nervös macht,“ meine ich.
„Es sollte das Gegenteil der Fall sein,“ erwidert er, „so sagten es zumindest meine Kollegen.“ „Diese Psychotherapeuten, zu denen Sie mich geschickt haben?“ hakte ich gleich nach.
„Genau die!“ antwortet er.
„Ich sagte doch: Quacksalber. Und damit verabschiede ich mich.
„RBöhringer@hotmail.com,“ schreit er mir nach, und: „ich freue mich auf unser nächstes Beisammensein.“
Als ich aus der Praxis komme, schlage ich meine Hand auf die Stirn. Ich bin im falschen Film, ganz eindeutig. So etwas ist mir noch nie passiert. Macht mich mein Hausarzt an, ich fasse es nicht. Und ich soll noch quasi privat über mein Leben reden, über all das, was mir jemals Aufsehen erregendes zugestoßen ist, über meine Gefühle, Gedanken, Vorstellungen und Wünsche, über meine Wunden, Schmerzen, Niederlagen, Ängste, und-was-weiß-ich-noch-alles. Erneut werde ich versuchen, mich zu öffnen, alles aus mir herauszulassen, das ist nicht mein erster Versuch. Tagtäglich strenge ich mich in dieser Hinsicht an, doch oft ist das Ergebnis dürftig. Wie soll man sich denn anderen Menschen verständlich machen, wenn man sich selbst nicht versteht. Jeder denkt anders, in anderen Strukturen. Oder etwa nicht? Ich weiß es nicht. Während ich in die warme Tram steige, denke ich nach, frage mich, was die anderen Menschen denken; ich remple einen alten Sack an. Der brüllt mich an: „Kannsch net ufpasse, du Flegel!“

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