Der Arzt (Part One)

„Was haben Sie nur gegen Psychotherapeuten?“ fragt er mich. „Ich führe diese Praxis bereits seit zwei Jahrzehnten, noch nie hat mir ein Patient nach der dritten Überweisung zu einem Kollegen an den Kopf geworfen, dass ich kein Fingerspitzengefühl habe und unnütze Empfehlungen mache!“
„Fangen Sie bloß nicht an zu weinen,“ erwidere ich ihm kühl.
„Sie sind doch ein witziger, intelligenter Mensch, warum können Sie sich nicht mit diesen Spezialisten einigen? Was stellen die denn so Schlimmes an, dass Sie immer wieder abbrechen?“
Ich denke über diese Fragen nach, während ich mich in seinem Zimmer umschaue, diesmal zum hundertachtundzwanzigsten Mal, erneut – wie hundertsiebenundzwanzig Mal davor – bleibt mein Blick am Diplom meines Hausarztes haften. Warum habe ich ihn noch nie gefragt, wie es kommt, dass es in Kyoto ausgestellt worden ist? Eine interessante Frage deswegen, weil auch meine Augenärztin ein in Kyoto ausgestelltes Diplom in ihrer Praxis hängen hat. Kann man dort Diplome kaufen? Und was bedeutet das für mich? Am Ende brauche ich eine schwächere Brille und meine seelischen Beschwerden haben in Wirklichkeit einen physischen Grund, irgend etwas in meinem Körper stimmt nicht, irgend eine Drüse oder irgend ein Organ funktioniert nicht mehr, und deswegen leide ich schon so lange an Depressionen oder anderen psychischen Störungen (ich war noch nie lange genug bei einem Therapeuten, um eine genaue Diagnose erhalten zu haben!).
Er schaut mich eindringlich an, dieser alte Sack, nun, in Ordnung, mit seinen fünfzig Lenzen ist er nicht so alt wie mein vorheriger Arzt, der mindestens siebzig war, aus Siebenbürgen kam und dessen Akzent ich total mochte. Der musste auch viel mit mir durchstehen, ich kann es Ihnen sagen, meine Krebserkrankung beschäftigte ihn mehr als ihm wahrscheinlich lieb war. Mein neuer Arzt erscheint mir nicht halb so kompetent und sensibel wie mein alter, naja, aber vielleicht liegt es an meinen Vorbehalten, oder weil ich so wenig von ihm weiß.
Ich bin es gewohnt, mit meinen Ärzten Schwätzchen zu halten und dabei auch ein wenig von ihnen zu erfahren, aber dieser Kerl macht es mir schwer. Nun gebe ich mir einen Ruck: „Sagen Sie mal,“ beginne ich, „gibt es in Kyoto Arzt-Diplome zu kaufen?“ Er schaut mich verdutzt an, überlegt, wirft dann einen Blick auf sein Diplom und fängt an zu lachen.
„Vielleicht,“ meint er, „vielleicht sind Psychotherapeuten etwas sensibler, beziehen solche Kommentare auf sich und fühlen sich dann ihrerseits betroffen.“
Nun bekommt er ein verdutztes Gesicht von mir zu sehen.
„Auch sie sind nur Menschen und verkriechen sich in ihre eigenen Panzer, um nicht verletzt zu werden.“
„Das verstehe ich nicht,“ antworte ich, „die hat man doch dafür ausgebildet, dass sie so etwas wegstecken und nicht sofort beleidigt sind, oder etwa nicht? Außerdem habe ich kein Diplom aus Kyoto bei ihnen gesehen,“ sage ich, denn mittlerweile hat sich mein Verdacht in meinem Kopf verfestigt, sonst hätte er doch gar nicht so geschickt abgelenkt. Er lacht, dann entgegnet er – und macht dabei ein schlaues Gesicht:

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