Der Arzt (Part Four)

„Warum sind Sie so unhöflich!“ entgegne ich ihm, „ich habe Ihnen weder das Du angeboten, noch bin ich ein kleines Kind; dass ich Sie angerempelt habe, tut mir Leid, ich war in Gedanken, aber es ist trotzdem kein Grund sich so zu benehmen.“
Nun flippt er vollkommen aus: „Du kleiner Bastard, du schwules Muttersöhnchen, verpiss dich von hier!“
Ich schaue die Umstehenden an, fordere sie auf, etwas dagegen zu sagen: „Haben Sie das gehört, wie der sich benimmt, das ist ja unerhört!“
Ich blicke auf eine ältere distinguierte Dame: „Sagen Sie ihm doch bitte einmal, dass man sich als erwachsener Mensch besser zu benehmen hat, vor allem, wenn Damen in der Nähe sitzen.“
Sie lächelt mich an, schaut dann zu dem grobschlächtigen, ungehobelten Mannsbild auf, weist ihn zurecht: „Der junge Mann hat Recht, Sie sollten sich schämen! Da schimpfen die Älteren immer, die Jungen wären unhöflich und benähmen sich wie Flegel, dabei sind sie es oft selbst!“ fährt sie fort. „Würden Sie sich bitte bei ihm entschuldigen!“
Mittlerweile hält die Straßenbahn. Der Idiot steigt fluchend aus, ich höre noch ein: dreckiges Saupack, dreckiges! Die ältere Frau sieht mich an.
„Machen Sie sich nichts daraus, die meisten Menschen haben kein Benimm, sind frustriert und unglücklich,“ sagt sie, „sehen Sie es ihm vor, und machen Sie es besser als er. Bleiben Sie der sensible, idealistische, höfliche Träumer, der Sie sind,“ fügt sie auch noch hinzu.
Ich erröte.
„Wie kommen Sie dazu, das zu glauben,“ frage ich sie.
„Ich bin achtzig Jahre alt geworden, habe vieles erlebt, jede Menge Menschen kennen gelernt, ich glaube von mir behaupten zu können, dass mich die Erfahrungen, die ich gemacht habe, gereift und vor allem meine Intuition gesteigert haben.“
Ich schaue sie an, etwas verdutzt, etwas bewundernd.
„Es ist keine Leistung alt zu werden,“ behauptet sie, „aber es ist eine Leistung, jeden Menschen, den man in seinem langen Leben geliebt und verloren hat, trotz allem in anderen Menschen zu suchen. Und solche Typen wie der gerade eben haben wahrscheinlich noch nie jemanden geliebt, noch nie in einem anderen Wesen Liebe gesucht.“
Sie steht auf: „Ich muss aussteigen,“ sagt sie.
„Warten Sie, ruf ich ihr nach, darf ich Sie einmal besuchen?“
„Natürlich,“ antwortet sie erfreut, „ich heiße Magdalena Szypiorska, meine Telefonnummer ist 3855789, Aufwiedersehen.“
„Aufwiedersehen, hat mich sehr gefreut, Sie kennen gelernt zu haben.“
Sie winkt mir noch einmal von der Haltestelle aus zu; ich fahre weiter.
So, und nun kann ich mich darüber freuen, diesen alten, unverschämten Grobian angerempelt zu haben! Man muss alles positiv sehen, nicht wahr?! Dank ihm habe ich eine nette Frau kennen gelernt. Während ich aus dem Fenster schaue, fällt mir ein, dass ich umsteigen muss, wenn ich noch einen Sprung in die Bücherei machen möchte. Die Straßenbahn, die ich brauche, fährt gerade auf der anderen Seite der Haltestelle ein. Ich muss schnell aus meiner Bahn hechten, wenn sie hält, damit ich auf die andere rennen kann. Wie immer, wenn man es eilig hat, sind da wieder solche Schnecken vor mir, nichts gegen alte und dicke Menschen, aber sie sind im Weg! Jetzt! „Ich will raus,“ schreie ich verzweifelt, „ich muss die S5 noch kriegen.“
Die Dicken und Alten schauen mich giftig an.
„Entschuldigung, ich habe es wirklich eilig!“ schreie ich und fliege davon. Das ist immer so in der Stadt, alle Menschen stören mich, ich halte es nicht aus, bin ungeduldig. Einerseits stresst mich schon allein ihre Anwesenheit, wenn sie dann noch vor mir her watscheln und ihren Arsch nicht von der Stelle kriegen, kriege ich Anfälle. Ach, so ein Mist! Nun bin ich der unhöfliche Flegel. Und natürlich erreiche ich die Bahn nicht rechtzeitig. Das war ja klar. Warte ich auf die nächste oder gehe ich nach Hause?

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