Die Verschwulung der Welt

Der Berliner Joachim Helfer und der Beiruter Rashid al-Daif waren 2006 Teilnehmer des Interkulturellen Literaturaustauschprogramms „West-Östlicher Diwan“, das vom Goethe-Institut, den Berliner Festspielen und weiteren deutschen Institutionen initiiert ist. Das Ziel ist, den Austausch der verschiedenen Kulturen zu forcieren, indem man sich gegenseitig in den beiden Ländern besucht und das literarische Umfeld des Anderen kennenlernt. Das Produkt soll ein Essay über die Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten der beiden Gesellschaften sein. Rashid al-Daif, der Austauschpartner aus dem Libanon, tat etwas anderes. Er verfasste ein kleines Büchlein, das sehr persönlich und intim war: er schrieb über das Privatleben seines deutschen Kollegen, und insbesondere über dessen Homosexualität. Dieses Traktat wurde zu einem kleinen Bestseller im Libanon. Joachim Helfer sah sich gezwungen, eine Gegenrede zu verfassen, die vor kurzer Zeit trotz Bedenken des deutschen Verlages, in Deutschland herausgegeben wurde.
Worum geht es in diesem Werk? „Das Bett ist ein Kriegsschauplatz zwischen arabischer Tradition und westlicher Moderne“ so spitzt der Libanese seine These zu. Schon hier muss man erwähnen, dass al-Daif in seinen Romanen sehr gerne über Sexualität schreibt, allerdings stets heteronormative Vorstellungen vertritt. Er hat also bewiesenermaßen ein großes Interesse an Sexualität und deren Auswirkungen. So fasziniert ihn die Sexualität des deutschen Gegenübers und scheint alles andere in den Schatten zu stellen. Im gesamten Text spielt nur eben die Sexualität von Joachim Helfer eine Rolle. Am Ende ist er gar der Meinung, dass er selbst den jüngeren Literaten aus Europa bekehrt und zum rechten Pfad der Tugend gebracht hat, da Helfer sich seinen lang gehegten Wunsch eines Kindes erfüllt, und zwar mit Hilfe einer Frau, die er in Beirut kennenlernt. Die Sichtweise des Beiruters lässt allerdings nicht zu, dass dies für Helfer nichts am Status seiner langjährigen Beziehung mit seinem Partner ändert.
Doch warum ist das so wichtig für ihn? Es stellt sich bald heraus, dass al-Daif wie die meisten Menschen in arabischen Ländern eine andere Definition von Homosexuellen haben:
„Als Homosexueller wahrgenommen und bezeichnet wird weder ein Mann, der einen Homosexuellen oder einen Jüngling begehrt, noch dieser Jüngling selber, sondern einzig der erwachsene Mann in seiner, für Rashid durch Bart- und Körperhaar symbolisierten, Potenz als Mann begehrt, sich also von ihm penetrieren lässt, oder zumindest ließe, wenn sein aufdringliches Buhlen zum Erfolg führen würde.“


Das heißt, dass das potenziell Weibische und weiblich Passive das Verteufelte in den Augen des Libanesen ist. Damit einhergeht klar ersichtlich die abwertende Haltung gegenüber Frauen. Und dies ist einer der Streitpunkte der beiden Autoren: Joachim Helfer wirft dem Kollegen aus Beirut vor, einen sehr geringschätzigen Blick auf das andere Geschlecht zu haben. Al-Daif, der in seinem Land als progressiver Intellektueller gilt, zeigt hier in diesem Buch seine eher rückwärts gewandte Sichtweise der Dinge. Manche wohlwollende Kritiker schreiben, dass der Libanese doch manches eher ironisch meinte, doch nirgends in dem Text ist Ironie erkenntlich. Joachim Helfer seinerseits hat es ebenso wenig mit der Ironie. Seine Gegenrede ist doch allzu oft belehrend und mit erhobenem Zeigefinger. Viel zu oft benutzt er den erhobenen Zeigefinger und viel zu selten lässt er eine distanzierte, gelassene und humorvolle Haltung zu. 
Die Frage ist sowieso, ob dieses Werk ein tatsächlicher Dialog ist. Al-Daif hatte sein Werk im Monolog veröffentlicht. Und Joachim Helfer hielt einen Monolog dagegen. Ein Dialog ist das nicht. Viel spannender und erhellender wäre wohl eher, den Text von al-Daif zu nehmen, einzelne Passagen zu kommentieren und dann wieder zurück zu ihm nach Beirut zu schicken. So hätte ein wahrer Dialog zustande kommen können, der vielleicht etwas produktiver gewesen wäre. Und nicht im Sande verläuft wie das jetzt wohl der Fall sein wird. 
So richtig was Neues, was wir uns noch nicht gedacht hätten, kann man aus diesem Werk nicht herauslesen. Amüsant ist es trotzdem, wenn die beiden Schriftsteller ihre verschiedenen Versionen von Wahrheit kundtun. Joachim Helfer, der eher trocken analysieren möchte, und der poetische Rashid al-Daif, dessen Geschichten-Strom von dem Deutschen durch seine Einlassungen unterbrochen wird – manchmal ein wenig schade. Lustig sind auch die Unterstellungen von al-Daif, der zum Beispiel Angst hat, von Helfer angemacht zu werden, da er ja so männlich und behaart ist, und darauf stehen bekanntlich die Schwulen!
Alles in allem ist das Buch für all diejenigen lesenswert, die es mit Distanz, guter Laune und einem Quäntchen Philanthropie lesen. Menschen allerdings, die ohnehin schon Vorurteile und Klischees bezüglich muslimischen Menschen haben beziehungsweise in der Frauenbewegung arbeiten, sollten dies lieber unterlassen, denn man kann sich schon sehr über die Kommentare des Libanesen aufregen, was Joachim Helfer gelegentlich auch tut!
Das Buch „Die Verschwulung der Welt – Rede gegen Rede; Beirut – Berlin“ von Joachim Helfer und Rashid al-Daif ist in der Edition Suhrkamp erschienen und für zehn Euro im Buchhandel erhältlich. 

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