schmerzwach liest: Eigentlich bin ich ja der ... ähem ... Gehandicapte?!
Der wunderbare Moderator Fabian Stanco |
„Bist du schwul, oder was?!“, schrie Ali seinen Mitschüler Mehmet an. Letzterer hatte aus Versehen ein bisschen Cola auf ersteren geschüttet, nicht viel, gerade mal so, dass das Mobiltelefon etwas nass wurde. Ich schaute Ali streng an.
„Oh,
das habe ich nicht so gemeint, PlastaMasta, ich habe nichts gegen Schwule, das
weißt du, Alda!“, wirft er mir nun
entgegen.
Ich
schaue wieder streng.
„Also,
nicht Alda, oh Mann, Alda ist doch jetzt nicht schlimm.“
Ich
lächele ihn unschuldig an.
Solche
Situationen erlebte ich damals oft, als Pädagoge. Irgendetwas war schwul – dann
fiel der Person, die das Wort benutzte, auf, dass ich in der Nähe war, und dann
nahm sie es sofort zurück. Ich war doch cool. Und das Wort „schwul“ habe man
einfach so benutzt. Meine Homosexualität wurde irgendwann „normal“, nicht der
Rede wert ...
Übrigens:
PlastaMasta war nur einer der vielen Namen, die ich von meinen Schülern bekam.
Der Hausmeister beteiligte sich an dem Spiel. Eines Tages ließ er den „Herrn
Plastikgras“ über den Schullautsprecher ausrufen. Und was war: er wollte gar
nichts von mir, nur ein bisschen lachen. Diese Verballhornung sei ihm gerade
eingefallen, sagte er stolz: „Witzig, gell?!“
Die
Geschichte mit Ali und Mehmet ging weiter. Jaja, ich weiß, einfallsreiche
Namen, aber ich muss die Jungs ja schützen, also anonymisieren. Und auch da
möchten wir doch nicht auf Klischees undsoweiter verzichten.
Ali
regte sich ja noch immer auf – und musste dies zum Ausdruck bringen. „Ey, Alda,
du bist echt behindert, warum hast du die Cola auf mich geschüttet?“
Erneut
schaute ich ihn an. Gereizt blickte er zurück: „Ey, behindert bist du doch
nicht auch noch, oder?“ Mehmet sagte und machte übrigens gar nichts, er setzte
sich einfach hin und versuchte Ali zu ignorieren. Völlig zurecht natürlich.
Mehmet
war ein Junge, dem die rechte Hand fehlte. Und nennt meine Wahrnehmung schwach
oder etwas, aber ich habe bestimmt ein Schuljahr gebraucht, bis mir das
tatsächlich auffiel. Und ich spielte Fußball und einmal sogar Basketball mit
ihm. Aber das ist eine andere Geschichte. Damit wollte ich Ali jetzt nicht
kommen.
Also
sagte ich: „Behindert ist noch bescheuerter als schwul. Ich meine, was heißt
denn behindert überhaupt?“
Er
schaute mich leicht irritiert an und wusste nicht, worauf ich hinaus wollte.
Ein
anderer Junge, nennen wir ihn mal Abdel, sagte einmal in meinem Beisein zu
seinen Freunden: „Also, ich weiß, dass der Typ Deutsch redet. Ich kenne auch
die Wörter. Aber ich weiß einfach nicht, was er mir sagen möchte!“
Das
fand ich klug.
In
so einer Situation befand ich mich also erneut. „Naja, was ist denn behindert?
Bist du behindert, weil du nicht mit den Füßen schreiben kannst?“
„Hä?!“,
machte er darauf nur.
Na,
kannte ich schon. Meine Argumentationen verstanden meine Jungs in der Schule
nie. Manchmal dachte ich, dass sie mich nur mochten, weil ich den
Hallenschlüssel hatte und sie mich immer um den Finger wickeln konnten, dass
ich mit ihnen in die Halle ging, wenn sie frei war.
„Na,
es gibt ja Menschen, die keine Arme haben, und die können mit den Füßen schreiben.
Hast du noch nie gesehen?“
„Hä?!“,
machte er erneut. Wahrscheinlich zurecht. Ich dachte in diesem Moment, dass es
angesichts Mehmet neben uns kein sooooo gutes Beispiel war. Aber das passierte
mir immer.
Andere
Geschichte ...
Egal,
dachte ich dann, da musste ich nun durch.
„Die
Leute, die mit den Füßen schreiben, sagen ja auch nicht: Mann, bist du
behindert, warum kannst du nicht mit den Füßen schreiben?!“
„Hä?!“,
kam es erneut von Ali, dann aber auch ein: „Aber warum sollte ich mit den Füßen
schreiben, wenn ich doch mit den Händen schreiben kann? Verstehe ich nicht.“
„Sage
ich ja“, erwiderte ich, wusste aber sofort, dass dies nicht wirklich logisch
war.
„Auf
jeden Fall“, sagte ich, „wird kein Mathelehrer dir sagen, dass du behindert
bist, weil du sein Fach nicht schnallst.“
„Aber
er sagt, dass ich dumm bin. Ist auch nicht besser!“, sagte er folgerichtig.
Oh
Mann! Was ich damit sagen möchte: Hä? Wie erklärt man das richtig? Und
überhaupt? Man macht doch immer alles falsch bei dieser Thematik, oder?
Zum
Beispiel sind mir nur dumme Beispiele eingefallen, als ich mich jemand bat,
einen Text über ´Inklusion´ zu schreiben. Um die Ecke habe ich die Frankfurter
Stiftung für Blinde und Sehbehinderte. Die hat da ein Haus.
Das
erste Beispiel, das ich nehmen wollte, war eine ältere Dame, die mich in der U
5 fragte, ob ich ihr beim Aussteigen an der Musterschule behilflich sein könnte.
Nun beging ich einen schweren Fehler. Überengagiert sagte ich: ja. Denn ich
müsste da auch raus. Wirklich ein schwerer Fehler. Der Spaziergang – eigentlich
eine Fußstrecke von drei Minuten, langsamen Schrittes – dauerte bestimmt
fünfzehn Minuten, gefühlte Stunden. Einmal meiner Aufmerksamkeit gewiss
erzählte sie mir ihr ganzes Leben nach, das mich nicht sehr interessierte.
Ihr
seht: doofes Beispiel. Wirft auf mich ein wirklich schlechtes Licht – und dann
auch noch gelästert über eine arme, alte Frau, die wahrscheinlich zu wenig
Möglichkeiten hat, sich mitzuteilen. Glaube ich übrigens nicht. Das macht sie
mit jedem, der sie begleitet, habe ich oft beobachtet. Ich verstecke mich jetzt
immer ganz schnell, wenn ich sie irgendwo sehe, ich schlechter Mensch.
Das
zweite Beispiel ist auch nicht besser. Ein weiterer Sehbehinderter. Früher
hatte ich eine Videothek in der Straße. Eines Tages parkte ein Fahrer sein Auto
geschwind vor dieser Videothek. Nur ganz schnell eine DVD abgeben. Nur ganz
schnell seinen BMW davor. Typisch, ne. Da musste aber gerade dieser besagte
Kollege entlang laufen. Und dieses Auto stand im Weg, genauer gesagt: es stand
da, wo es nicht stehen durfte. Die Strafe folgte auf dem Fuße: Der
Sehbehinderte nahm seinen Blindenstock und haute mehrmals absichtlich auf das
Auto. Ich verfolgte diese Szene und bekam einen Lachanfall.
Ich
weiß, damit habe ich mich auch ins Aus geschossen, und den armen Sehbehinderten
mit dazu.
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