TOGGLE von Florian Felix Weyh

Bei einem Gespräch vor kurzer Zeit wurde ich völlig verblüfft angeschaut, als ich gestand: "Ich bin absolut überfordert mit diesem ganzen Computer- und Internetzeug, ich bin so etwas von überhaupt kein Technik-Nerd...". Ich, der den ganzen Tag auf Twitter, Google+ und Facebook online ist, ständig per Email erreichbar, Tag und Nacht antwortet, ich, der eine elektronische Visitenkarte besitzt, der bei XING, WKW, bei bloggers und bloglovin usw. ist, der eine Dropbox benutzt, der ein personalisiertes Profil bei Youtube, Putpat.tv und Last.fm hat, Skype und MSN sowieso, und der bei Bloggdeinbuch uvm. mitmischt? Das konnte das Gegenüber nicht glauben. Aber es ist so, ich kapiere das alles nicht. Die Technik-Nerds, die hinter diesen ganzen Sachen stecken, haben alles so einfach und leicht gestaltet, dass selbst ich es schaffe, damit umzugehen. Nur wie das alles funktioniert, wie das auch alles zusammenhängt, das erschließt sich mir nicht. Und warum es so schlecht sein sollte, dass wir alle gläsern sind... Nun, dann wissen Google und Facebook mehr von mir als ich selbst. Na und??? Dieser Thematik nimmt sich nun der Journalist Florian Felix Weyh in seinem ersten Roman an. Toggle mit den bunten Buchstaben erinnert nicht zufällig an das große böse Unternehmen Google. 
Also, nun zur Geschichte: Der Ausgangspunkt ist, dass Toggle heimlich Bücher in abgelegenen Lagerhallen einscannt. Darunter auch eine vergessene Schrift des neapolitanischen Ökonomen Ferdinando Galiani über die Ungleichheit des Menschen. Dieser Text hat sehr viel Konfliktpotenzial und kann die Welt sehr verändern. Darum geht es in diesem Roman: Dieses Manifest aus dem 18. Jahrhundert wird nämlich zum Trojaner für ein Toggle-Programm namens TOD. Von dem allerdings nur Eingeweihte wissen, der neue Deutschland-Chef von Toggle zum Beispiel nicht. Diese hohe Funktion darf er sowieso nur einnehmen, weil seine Vorgängerin umgebracht wird, während die beiden im Luxushotel Mellau bei Garmisch-Partenkirchen den Ruf der Firma mit einem Kongress von Spitzenwissenschaftlern und kritischen Journalisten zu retten versuchen. In diesem Hotel ist auch ein russischer Oligarch, der zuerst das soziale Netzwerk Myface übernehmen möchte, um dann mit Toggle zu fusionieren und quasi die Weltherrschaft an sich zu reißen. Hört sich kompliziert an, ist es auch. Und noch viel komplizierter! Es gibt so viele Handlungsstränge mit komplexen Sinnzusammenhängen, dass der/die ungeübte Leser/in schnell ins Straucheln gerät. Weyh erleichtert einem zwar das ganze, indem er die Namen so platt und durchsichtig wählt, dass man nicht lange überlegen muss, wen er karikieren möchte. Trotzdem verliert er sich zu häufig in diesen Nebensträngen, die nur ihm deutlich erscheinen. Zugegeben: der Roman ist spannend. Trotzdem fragt man sich, wieso er irgendwo in der Mitte stehen bleibt. Das Skandalon ist, dass man durch dieses TOD die Punktzahl, die Wertigkeit, einzelner Menschen bei Wahlen errechnen kann. Das heißt, dass von jedem Menschen ein Wert ausgerechnet wird, der von den anderen differiert, so dass jemandes Stimme 5, 10 oder 20 Mal mehr wert sein kann als die seines Nachbarn. Es hat mit Alter und Gesundheit zu tun, mit Status und Bildung. Doch die Geschichte bleibt dabei stehen, dass diese Utopie skizziert wird, doch was passierte tatsächlich, wenn so ein TOD zustande käme? Nein, das ist nicht das Thema einer Fortsetzung, sondern wäre das Thema dieser Erzählung gewesen. Andere Punkte hätten durchaus ausgespart werden können, um genau diesen Aspekt näher zu beleuchten. Der Autor Weyh bringt sicherlich viel Sachverstand mit, bedient sich aber einer doch zu sehr konstruierten Storyline. Selbst das wäre nicht allzu schlimm, da er ein Meister der Cliffhanger und der Spannungsbögen ist, aber Dialoge und Figurencharakterisierung sind nicht seine Stärke, die scheinen ihn nicht wirklich zu interessieren, daher werden die Personen allzu blutleer dargestellt und man möchte sich mit keiner so wirklich identifizieren. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich bei manchen Punkten einfach ausgestiegen bin. Okay, dass Google und Facebook viele Daten haben und im Endeffekt so viel Macht anhäufen könnten, dass man als normaler Bürger_in aufgeschmissen ist, kapitulieren muss, okay. Andererseits ist das ja gar nicht das Ziel von Facebook. Glaube ich. Ich habe keine Ahnung. Aber dieser Zuckerberg möchte doch etwas ganz anderes. Er hatte eine Idee. Und diese Idee ist nachvollziehbar. Die Idee funktioniert. Menschen möchten wissen, was ihre Kollegen und Freunde machen, wollen wissen, was ihnen gefällt und was nicht, möchten teilhaben, möchten lästern, aber auch goutieren, möchten Spaß haben, aber auch hassen können. Das ist menschlich. Und nur das hatte Zuckerberg vor. Er wollte teilhaben. Und er wollte lieb gehabt werden... Das möchte jede_r. So auch der Autor Weyh, nein, er hat das gut gemacht. So ein komplexes Thema lässt sich nicht in unter 500 Seiten bearbeiten, nicht mal unter 1000 Seiten, es ist eine Geschichte für drei Mal 1000 Seiten. Von daher hatte er sein Thema gut im Griff, mehr als seine Figuren, mehr als seine Dialoge. Es war keine verschwendete Zeit, dieses Buch zu lesen, aber es erreichte auch nicht meine hohen Erwartungen, die ich daran knüpfte. Schade. Aber wahrscheinlich ist die Wahrheit nicht zu finden. Vielleicht irgendwann. Egal. Ich mochte das Buch trotz allem. Und würde es weiter empfehlen. Aber zu viel Erkenntnis sollte man nicht erwarten, vor allem nicht, wenn man sich sehr viel mit Internet und Google/ Facebook/ Privatsphäre-Scheiße beschäftigt... Toggle ist bei Galiani Berlin erschienen: http://www.galiani.de/. Vielleicht geht es Menschen, die nicht so viel über diese Thematik reflektieren, anders als mir, vielleicht finden sie die Methode, nach dem TOD verfahren möchte, menschenverachtend und fühlen sich emotional aufgewühlt danach (im Gegensatz zu mir, der diesem Galiani durchaus zustimmen möchte); herausfinden kann man es, wenn man sich das Buch hier kauft: http://www.amazon.de/Toggle-Florian-Felix-Weyh/dp/3869710411/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1321615367&sr=8-1

Dies war eine Rezension für http://www.bloggdeinbuch.de/ und ich gebe dem Buch TOGGLE von Florian Felix Weyh unentschiedene 3,6666 von 5 Sternen, weil ich letztendlich doch unterhalten wurde, wenn auch nicht auf hohem Niveau...

Kommentare

  1. Da hab ich auch kurz überlegt, ob ich mich für bewerbe. Letzendlich dachte ich, dass es viell. doch nicht so was für mich ist :)

    Danke für deine Rezi :)

    Liebe Grüße

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  2. bitte, gerne. :-)
    als nächstes habe ich mich auf einen frankfurt-krimi beworben. :-)))
    spielt im bethmann-park - ist bei mir um die ecke. ;-)
    und du?
    lg, jannis

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  3. ich liiiiebe max frisch

    der bericht zur neuen ausstellung:
    http://buddhabrooks.blogspot.com/2012/02/der-kult-ist-schuld.html

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